— UPDATE — Deutschlandradio Kultur berichtet über die Zukunftskonferenz, das zugehörige Podcast findet sich hier.
Die Konferenz zur Zukunft des Deutschen Buchhandels in Frankfurt liegt kaum eine Woche zurück und schon jetzt ist es kaum mehr möglich, die mannigfaltigen Berichte, Auswertungen, Zusammenfassungen, Handlungsanweisungen und Ausblicke der Mitwirkenden zu verfolgen und gegebenenfalls zu filtern – gerade die große Zahl der webaffinen, aktiv sich austauschenden Protagonistinnen und Protagonisten sowie das hoch spekulative Themenfeld führen bereits zu einer Zerfaserung, die es thematisch aufzufangen und aufzubereiten gilt. Ich hatte das große Glück, an beiden Tagen in meiner Wunschgruppe arbeiten zu dürfen und möchte das zum Anlass nehmen, etappenweise zu vertiefen, was in den mehrstündigen Gruppenparts diskutiert wurde.
Die schon im Vorfeld vielfach geäußerten Verbesserungs- und Ergänzungsvorschläge (Wo bleibt der Endkunde / Wieso zählt Youtube.com in die Kategorie „Video/Kino/TV“??) sollten in Frankfurt zunächst unbeachtet bleiben, damit alle Gruppen von einer Basis ausgehen können, die unsere Ergebnisse am Ende der Einzelarbeit vergleichbar macht. Ein Verändern der Ausgangsmatrix, mit der wir in die Gruppenarbeit entlassen wurden, war also per decret unzulässig.
Tag 1.) Studentisches Lernen (hervorragend moderiert von Alexander Viess, Danke!)
Gruppenkonstellation optimal: Andrea Euchner und Susanne Ziegler (beide bei UTB für sinnvolle Studienlektüre verantwortlich) wissen, wie sich der Markt verändert hat und welchen Parametern sein Wandel unterliegt, Peter Schmid-Meil (Naturwissenschaftler, Gamer, Programmleiter bei FRANZIS) ist gedanklicher Vorreiter in puncto technischer Devices, Digitalisierung und E-Publishing, ich bin aus der Hochschule noch gar nicht richtig raus und schon wieder drinnen, diesmal auf der anderen Seite des Pults.
Wie alle Gruppen erhielten auch wir zunächst die Schätzungen des Thesenteams bezüglich der Umsatzstrukturen in unserem Segment:
*Gesamtausgaben: 600.000.000 € / die 35% „Internet“ (immerhin 210 Mio.!) werden nicht verdient – sie sind als „fiktive Opportunitätskosten“ anzusehen und bilden die Summe jener Umsätze, die durch nicht verlagsseitige, kostenfreie Onlineangebote verloren gehen.
Ausgehend davon haben wir mittels dieser Annahmen neue Werte ermittelt:
Studentisches Lernen in 2025 (unsere „Thesen“)
– mobile Devices haben im deutschsprachigen Raum unter Studierenden eine Verbreitung von nahezu 100% gefunden
– online Flatrates sind Standard und bedürfen keiner Eigenfinanzierung
– ein wesentlicher Teil der Ausbildung wird mittels kollaborativer Lehrmethoden abgehalten, die vom gedruckten Wort unabhängig sind
– überregionale Lernplattformen und (hochschul-)serverbasierte Onlinelösungen gewinnen an Bedeutung
– Zeitungen/Zeitschriften spielen (in der Printversion) bis auf wenige Ausnahmen keine Rolle mehr
– der internationale Bezug/Hochschulkooperationen nehmen deutlich zu
(Deutsch als Hauptsprache langfristig fragwürdig)
– der Fachkräftemangel in Deutschland und die größer werdende Notwendigkeit lebenslangen Lernens haben (bei gleichzeitig schwacher Geburtenrate in 2000 ff.) die (Lehrmittel-) Finanzierungsmodalitäten nominativ geändert
- mehr zahlungskräftige Privathochschulbesucher
- stärkere staatliche Förderung hervorragender Ausbildungsprogramme /Auszubildender (Eliteförderung)
- bessere Absicherung Studierender
- ein wachsendes Segment Fort-/Weiterbildung
- Paid-Content-Lizenzen für Hochschulbibliotheken
Die schwankenden Studierendenzahlen werden aller Vorraussicht nach kaum Einfluss auf das für Lehrmittel ausgegebene Geld haben: weniger Studierende kaufen zwar möglicherweise weniger ein, werden aber mit größeren Ausgaben gefördert, daher haben wir uns entschieden, von einem grundlegend leicht wachsenden Gesamtumsatz auszugehen, den wir (inflationsbereinigt) auf 610.000.000€ schätzten. Für die einzelnen Mediengattungen ergibt sich laut unserer qualifizierten Schätzungen eine Umverteilung dieser Art:
Das gedruckte Buch hat laut unserer Schätzung nur noch einen Anteil von maximal 13% am Gesamtumsatz mit Lehrmitteln für Studierende, die Zeitschrift ist nahezu gänzlich verschwunden, der Anteil der nicht zur Generierung eines Rückflusses beitragenden Fachinformationen („Internet“) steigt deutlich auf 50%. Der wesentliche Verlust im Bereich „Buch“ aber wird durch Angebote im Bereich Paid Content / Paid Services** ausgeglichen. Ausgeglichen aber nicht zwingend zu Gunsten der heute formierten Marktteilnehmer sondern vielmehr von sogenannten branchenfremden Anbietern: Dienstleister, die längst internetbasierte Lernlösungen in petto haben und nur noch darauf warten, Sie mit dem nötigen Content füllen zu können.
**Hingegen der Vorgabe des Thesenteams haben wir uns hier dazu entschieden, den Schwerpunkt deutlich zu erweitern und „Services“ zwingend mit zu benennen.
Für die jetzt aktiven Verlage stellt das sehr explizite Anforderungen an ihr Innovationsverhalten dar, für den vertreibenden Buchhandel ergibt sich laut unserer Schätzung die folgende Absatzmarktsituation:
Lediglich 20% der Ausgaben (Gruppenkonsens.. ich sage 5%) werden noch im stationären Buchhandel getätigt, ein satter Verlust von 25% (40!) während Versandhandel und Aggregatoren in ihrer Bedeutung deutlich zunehmen.
Unser Bauchgefühl, Erfahrungswerte und eine recht genaue Kenntnis der Sachlage am Markt für Lehrmittel brachten uns zu den folgenden zusammenfassenden Aussagen:
- macht Paid-Content/Service oder macht zu
- übersetzt Eure Fähigkeiten ins Netz
- befasst Euch mit Vertriebskanälen
- bildet Auslieferungs- und Know-How-Kooperationen
- bildet Eure Marke in der Zielgruppe aus (und kennt sie)
- denkt die Rolle des Verlages neu: seid Dienstleister
Die größte Konkurrenz im Wettbewerb der Zukunft werden (heute) branchenfremde Anbieter sein, nicht andere Verlage.
Neben diesen Themenvorgaben haben wir eine Unzahl an relevanten Veränderungen des spannenden Sektors diskutiert: Gaming als Lernmethode; studiengangsübergreifende, kollaborative Angebote; fakultativ/internationale Plattformen, Paid-Content-Lizenzmodelle, Verlag vs. Dienstleister, Fachrichtungen und Fallbeispielen, digitale Unternehmensgründung für Studierende, interaktiven OP-Säle, Hologrammtechnik, Whiteboards, neurobiologische Vorgänge in der Wissensvermittlung, Bolognaprozess und bulimisches Lernen… in nahezu unheimlich produktiver Stimmung und fast ganz ohne alltagsbestimmende Scheuklappen haben wir am vergangenen Donnerstag in dieser ersten Gruppe mit historischem Eifer und revolutionärem Ernst versucht, ein Bild von der Zukunft zu entwerfen, in dem noch Platz ist für Verlage. Ich hoffe, es ist uns ein wenig gelungen, auch wenn Handlungsempfehlungen schnell ein „aber wovon denn“ provozieren.
Vielen Dank auch an dieser Stelle noch einmal an das tolle Organisationsteam, an die Mitarbeiter/Helfer des Seckbacher Mediencampus, an den Börsenverein des Deutschen Buchhandels/das Forum Zukunft und die ehrenamtlichen Moderatoren, die uns vorbildlich im Zaum hielten!