Im Zuge der zunehmenden Digitalisierung in der Buchbranche und der daraus resultierenden medienneutralen Datenhaltung, wird sich nicht zuletzt auch der Beruf des Lektors und dessen Aufgabenfelder im Verlag, einer Umwälzung unterziehen müssen. Zu diesem Thema bietet die Akademie des Deutschen Buchhandels im Rahmen ihres Programms ein Seminar von Geschäftsführer und Redakteur der WGV Verlagsdienstleistungen, Walter Greulich, an. Unter dem Titel „XML und E-Publishing für freie Lektoren“, gibt er einen Überblick über die technischen Entwicklungen in der Lektoratsarbeit und sich dadurch veränderte Aufgabenfelder auf diesem Gebiet.
Welchen Stellenwert werden die Kenntnisse über medienneutrale Datenverarbeitung auf dem Gebiet der Lektorenarbeit, Ihrer Meinung nach einnehmen? Welche Vorteile ergeben sich dadurch für die Verlage?
Mit den Kenntnissen über medienneutrale Datenverarbeitung wird es wahrscheinlich ähnlich sein, wie bisher mit den Kenntnissen bezüglich der technischen Weiterverarbeitung von Manuskripten, Richtung Print. Lektoren werden sich nur so viel Wissen oder handwerkliche Fertigkeiten wie unbedingt nötig aneignen. Aber unabhängig davon, wird die medienneutrale Datenverarbeitung in der Lektorenpraxis zukünftig ganz sicher eine immer größere Rolle spielen. Ich sehe allerdings einen gewissen Unterschied zwischen fest angestellten und frei arbeitenden Lektoren: Für freie Lektoren, die traditionell stärker an der Schnittstelle zwischen klassischem Lektorat und Herstellung tätig sind, ist die technische Weiterbildung grundlegend für einen anhaltenden beruflichen Erfolg.
Im Zuge der stärkeren Akzeptanz von E-Books am Markt, wird es für Verlage immer wichtiger, auch bei kleinen Buchprojekten, an medienneutrale Datenhaltung zu denken. Kenntnisse möglichst vieler Verlagsmitarbeiter auf diesem Gebiet können Verlagen helfen, im Wettbewerb zu bestehen. Liegt erst einmal der größte Teil der Verlagsproduktion medienneutral vor – die wohl größte technische und wirtschaftliche Herausforderung ist die Umstellung der Backlist-Titel – hat ein Verlag ganz andere Freiheiten der Vermarktung als bisher.
Wird es die Arbeit der Lektoren vereinfachen oder eher erschweren?
Positiv betrachtet wird es die Arbeit von Lektoren noch vielfältiger machen. Ob, pessimistisch gesehen, eine stärkere Belastung daraus erwächst, wird sich zeigen.
Wie wird sich die traditionell gewachsene Arbeit der Lektoren ändern? Worin werden die neuen Aufgabenfelder von Lektoren bestehen?
Darüber, was die traditionell gewachsene Arbeit von Lektoren ist, könnte man lange diskutieren. Seit mehreren Jahrzehnten sind Lektoren, insbesondere Festangestellte, nicht mehr nur mit dem Lesen und Bearbeiten von Texten sowie dem Betreuen von Autoren beschäftigt, sondern planen Buchprojekte, managen zusammen mit Herstellern und anderen die Entstehung von Büchern, kalkulieren, sind an Werbemaßnahmen beteiligt und so weiter. Diese Aufgabenfelder werden sich durch digitale Publikationen nicht grundlegend ändern, allerdings müssen andere, zum Teil vollkommen neue Parameter mit einbezogen werden. Und das wird Änderungen an allen Stellen der Buchentstehung mit sich bringen – vor allem bei den Abläufen, von der Buchidee bis zum fertigen Produkt, bei allen Fragen rund um das Urheberrecht und bei der Vermarktung von Büchern.
Insbesondere freien Lektoren werden sich vollkommen neue, interessante und hoffentlich lukrative Aufgabenfelder eröffnen: E-Books mit ihren deutlich geringeren Entstehungskosten bieten vielen Menschen die Möglichkeit, sich erstmals als Autor zu versuchen, und sie benötigen dabei eine professionelle Begleitung. Der Anteil verlagsunabhängiger Autoren wird wachsen, aber wahrscheinlich ohne, dass den Verlagen dadurch Autoren verloren gehen – im Gegenteil: Wahrscheinlich werden viele unabhängige Autoren, gerade diejenigen, die von professionell arbeitenden freien Lektoren betreut wurden, früher oder später den Kontakt zu den Verlagen suchen und dann auch aufgenommen werden. Freien Lektoren wird daher mehr Verantwortung zuwachsen. Ihre Rolle in der Verlags- und Medienlandschaft wird bedeutender sein als heute.
Welche Konsequenzen für die Lektoratspraxis wird die Umstellung auf Word 2010 mit sich bringen?
Die Umstellung auf Word 2010 hat zu einem gewissen Teil bereits stattgefunden. Freie Lektoren sind – durch den rein wirtschaftlichen Druck, immer am Ball bleiben zu müssen, aber auch durch den Druck, den die zu bearbeitenden Formate der Autorenmanuskripte ausüben – wahrscheinlich schon etwas weiter als ihre fest angestellten Kollegen.
Die bereits spürbaren Konsequenzen sind einerseits, die leichtere Handhabung des Programms nach einer gewissen Eingewöhnungsphase, sowie andererseits der deutlich umständlichere Umgang mit Dokument- und Formatvorlagen und die großen Schwierigkeiten im Zusammenspiel mit anderen, für Lektoren fast überlebenswichtigen Programmen, wie Acrobat. Die Tatsache, dass XML das Grundformat von Word 2010 ist, hat auf die Lektoratspraxis bisher keinen großen, positiven Einfluss. Der einzige Punkt, der für Lektoren tatsächlich sehr hilfreich ist und auch bereits von etlichen genutzt wird, sind die Möglichkeiten die Open XML bietet, wie der problemlose Zugriff auf alle „Innereien“ eines Word-Dokuments, allen voran die eingebetteten Abbildungen.
Schnellformatvorlagen oder Designs sind Features, die eine professionelle Manuskriptbearbeitung eher behindern, zumindest solange Word-Dokumente für die Weiterverarbeitung mit Layout- oder E-Book-Programmen vorbereitet, sprich: möglichst konsistent und konsequent strukturiert werden müssen. Aber diese Features könnten eine große Rolle spielen, wenn das Cloud Computing eines Tages seine Praxistauglichkeit beweist.
Welche Bedeutung wird Cloud Computing für die Abläufe bei der Manuskripterstellung und Manuskriptbearbeitung haben?
Prinzipiell steckt ein großes Potenzial im Cloud Computing. Verlockend ist die Vorstellung, dass es nur eine Version eines Manuskripts gibt, die dazu noch jederzeit von allen Beteiligten eingesehen und sogar bearbeitet werden kann. Aber noch gibt es meiner Erfahrung nach keine soliden Abläufe, die ein Datenchaos verhindern. Von Sicherheitsaspekten ganz zu schweigen. Diese Probleme werden wahrscheinlich in nicht allzu ferner Zukunft gelöst oder zumindest minimiert sein. Bis dahin jedoch ist Cloud Computing eher zum reinen Experimentieren geeignet, als dass es standardmäßig in ernsthafte Projekte einbezogen werden kann.
Haben Verlage, Lektoren und Co. Ihrer Meinung nach eine Zukunft, wenn sie nicht auf XML und E-Publishing-Formate umstellen?
Es wird immer Bereiche geben, in denen Verlage auch ohne XML und E-Books auskommen können. Doch für die Mehrheit der Verlage und ihrer Mit- und Zuarbeiter, wird kein Weg daran vorbeiführen, sich auf die neuen digitalen Anforderungen einzustellen, sich möglichst umfassend weiterzubilden und möglichst bald eigene Erfahrung, mit „echten“ E-Projekten zu sammeln.
Vielen Dank für das ausführliche Interview und weiterhin viel Erfolg bei Ihren Projekten und Seminaren!
Das Gespräch führten Anja Adolph und Dana Günther.