Anders als der Untertitel “Libanesisches Reisetagebuch” vermuten lässt, steht weniger der Alltag der Libanesen im Mittelpunkt dieses literarischen Kunstwerkes, sondern vielmehr wird der deutschen Sprache in ihrer höchsten Vollkommenheit Raum gegeben.
Im Zuge eines Literatenaustauschs stattete der Schriftsteller Michael Kleeberg dem arabischen Lyriker Abbas Beydoun in Beirut 2003 einen vierwöchigen Gegenbesuch ab. In dieser Zeit verkehrt er in den gebildeten, elitären, westlich geprägten Kreisen der libanesischen Gesellschaft, in welchen es ihm möglich war über Heidegger, Hegel und Grass zu philosophieren. Die Sprache der libanesischen Elite ist, aufgrund des früheren Mandatsgebietes, Französisch. Kleeberg, welcher neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit französische Literatur ins Deutsche übersetzt, drückt seine Liebe zur französischen Sprache in unzähligen Zitaten und Redewendungen aus. Diese bleiben zum größten Teil unübersetzt, sodass dem Leser, welcher der französischen Sprache nicht mächtig ist, der vollständige Inhalt verborgen bleibt.
Neben biografischen Erzählungen aus seinem eigenen Leben, beschreibt Kleeberg traumatische Erlebnisse aus 15 Jahren Bürgerkrieg seiner libanesischen Bekanntschaften, welche er in einer sachlichen, emotionskalten Sprache wiedergibt und somit ein Mosaiksteinchen der Grausamkeit dieses langjährigen Abschlachtens in sein Tagebuch einbindet.
Dennoch vermag er es dem Leser sehr detaillierte, ausgeschmückte, lebendige Bilder im Kopf zu zeichnen, sodass man meinen könnte, selbst diese Dinge gesehen zu haben.
„Schlaff von den Antennen baumelnd, sich von den Brüstungen stürzend, die Wände hinabrankend wie Efeu: die zugehörigen Kabel und elektrischen Leitungen, zum Teil frei hängend an abenteuerlichen Steckverbindungen auf halber Höhe zwischen dem dritten und vierten Stock, gebündelt, an den Corniches entlanggeführt, in grob gebohrten Löchern im Haus verschwindend oder abzweigend, über die Straße hin gespannt oder weiter, diagonal am Haus entlang, bis unten, wo sich unter dem Vordach des Erdgeschosses ein Rattenkönig aus leise summenden Leitungen und porösen weißen Kabeln entlangschlingt, der, auch wenn er allen Vorstellungen von vorschriftsmäßiger Versorgung Hohn spricht, tut, was er soll: die Läden mit Licht und bunten TV-Bildern versorgen.“ [1]
Michael Kleeberg hat mit dem Buch “Das Tier, das weint” ein einzigartiges Werk geschaffen, welches die deutsche Sprache, die im Internetzeitalter zu verkommen droht, in ihrer alten Schönheit aufleben lässt.
von Sarah Killian
[1]: Das Tier, das weint: Michael Kleeberg, Deutscher Taschenbuch Verlag, 2004, S. 22
Bildquelle: http://www.dtv.de/_cover/640/das_tier_das_weint-9783423136013.jpg