Mittlerweile dürfte wohl jeder, der seine Buchkäufe bei Thalia, Hugendubel oder Weltbild erledigt, über ihn gestolpert sein: Den Tolino.
Als er im Frühjahr 2013 von den Filialisten ins Sortiment aufgenommen wurde, geschah dies mit dem Anspruch, an digitalen Lesetrends teilzunehmen und deren Zukunft aktiv mitzugestalten. Auch dem gemeinsamen Konkurrenten Amazon wollte man selbstbewusster entgegengetreten. Der Tolino löste bis dato veraltete bzw. nutzerunfreundliche Technologien ab, so beispielsweise den stark fehlerhaften Thalia-OYO.
Es folgten aufwendige Marketingkampagnen, die insbesondere auf die Vorteile des offenen Systems abzielten. Mit Erfolg – denn laut zahlreicher Umfragen bildet gerade diese Universalität eine wesentliche Einflussgröße auf das Kaufverhalten der Kunden. Während Amazon den Kindle-Usern die verbindliche Nutzung des hauseigenen Onlineshops diktiert, genießen Tolino-User absolute Unabhängigkeit. Wer also sein Gerät bei Hugendubel erwirbt, kann problemlos in den Shops anderer Anbieter stöbern. Ein unschlagbares Konzept, von dem sowohl Buchhändler als auch Endverbraucher profitieren.
Indikatoren für diesen Erfolg gibt es einige. Inzwischen kann der Tolino mit einer bemerkenswerten Produktpalette aufwarten. Den Tolino Shine ergänzte bald der Tolino Vision, gefolgt vom Tolino Vision 2. Alle Reader arbeiten mit derselben Software. Einziger Unterschied besteht in ihrem technischen Aufbau. Der Tolino Vision z.B. blättert schneller als der Tolino Shine, während der Tolino Vision 2 beim Lesen in der Badewanne durchaus einmal ins Wasser plumpsen darf. Entsprechend kategorisiert sich das Preisniveau.
Um auch multimedialen Anforderungen zu genügen, werden parallel zu den Lesegeräten auch Tablet-PCs unter derselben Marke angeboten.
Ein weiterer Indikator ist der Stellenwert des Tolino bei den Händlern. Dort bildet er längst ein Kernsortiment, das mit anderen Sortimenten korrespondiert. Thalia beispielsweise präsentiert den Tolino seit geraumer Zeit in vielen Flagship Stores durch moderne Shop-in-Shop Konzepte, u.a. in Hamburg und Dresden.
Aber damit nicht genug. Seit Ende April betreibt Tolino Media in Kooperation mit seinen Vertriebspartnern eine persönliche Selfpublishing-Plattform. Wohl einerseits um den neuen Herausforderungen der Branche zu begegnen, andererseits um Amazons KDP (Kindle Direct Publishing) ernstzunehmende Konkurrenz zu machen. Dabei erscheint es nur natürlich, dass die Funktionsweise dieser Plattform dem KDP-Modell in vielen Punkten ähnelt. Das Prinzip in Kurzfassung: Jeder, der ein Manuskript besitzt, kann Autor werden. Es gibt keine qualitative Selektion. Nach der Anmeldung generiert die Plattform aus dem Upload das E-Book mitsamt ISBN und lässt dieses automatisch in den Onlineshops von Thalia.de, Weltbild.de, Hugendubel.de, DerClub.de und zahlreichen anderen erscheinen. Für Autoren fallen weder Einstellungs- noch Lizenzgebühren an. Der komplette Service ist kostenfrei. Die Teilnahme ist jederzeit kündbar. Synchron zum Grundsatz des offenen Systems, bindet Tolino Media nicht mit Exklusivität, d.h. der Autor darf sein Werk jederzeit parallel bei anderen Anbietern publizieren.
Auch die Ermittlung des Honorars orientiert sich an KDP. Der Autor entscheidet selbstständig über den Preis seines Werkes und erhält von Tolino 70% des Nettoverkaufserlöses. Allerdings handelt es sich dabei um Startkonditionen, gültig bis zum 31.01.2016. Was danach folgt, ist ungewiss.
Entgegen aller Gemeinsamkeiten gibt es eine Sache, die den großen Unterschied macht. Nicht nur dass generierte E-Books in allen von Tolino unterstützten Onlineshops angeboten werden – für besonders erfolgreiche Titel bestehen weitere Vermarktungsmöglichkeiten hin zum stationären Handel. Zwar steckt dieses Modell noch in den Kinderschuhen, verspricht jedoch interessante Perspektiven für gefragte Autoren. Überhaupt sind es ebendiese Partnerschaften mit den großen Branchenteilnehmern, über die die Plattform ihr Alleinstellungsmerkmal definiert. Das Publizieren mit Tolino hält ein vielfältiges Repertoire an Möglichkeiten bereit guten Content marktwirksam zu promoten und einer breiten Leserschaft zugänglich zu machen. Darin besteht das große Potenzial.
Unterm Strich ist der Tolino also viel mehr als nur eine Alternative zum Kindle. Innerhalb kürzester Zeit konnte er ein von Amazon dominiertes Marktsegment durchdringen und dieses sogar erweitern. Seine enge Verbundenheit mit der Branche lässt auch den stationären Handel vom E-Book-Geschäft profitieren, womit er die Zukunft des Lesens auf nachhaltige Weise mitgestaltet. Egal ob E-Book-Fan, Selfpublisher oder Badewannenleser – der Tolino bietet jedem etwas.
Autor: Markus Heinrich