Diversität im Kinder- und Jugendbuch – Ein Interview mit Zuckersüß und Katalyst Verleger Lukas Kampfmann

 

Autorinnen/Interview-Durchführung: Marie Pauline Kullmann und Florentine Wiegand

Lesezeit: 9 Minuten

 

Diversität und Vielfalt sind Themen, die momentan, und gerade im Pride Month, in aller Munde sind. Das ist natürlich auch elementar im Kinder- und Jugendbuch. Lukas Kampfmann ist der Verleger vom Zuckersüß und Katalyst Verlag, zwei Verlage, die sich im Besonderen mit Diversität auseinandersetzen. Der Kinderbuchverlag Zuckersüß besteht seit 2019, wohingegen der Jugendbuchverlag Katalyst erst im Herbst 2022 gegründet wurde.

Wir hatten die Gelegenheit ein Interview mit Lukas Kampfmann zu führen:

 

Wie kamen Sie auf die Idee den Katalyst Verlag zu gründen?

Wir sind auf die Idee gekommen den Katalyst Verlag zu gründen, weil wir zu dem Zeitpunkt den Zuckersüß Verlag ungefähr zweieinhalb, drei Jahre lang betrieben haben und ganz großen Spaß dabei hatten, Bücher zu verlegen, aber immer öfter auf Bücher gestoßen sind, die für unsere Zielgruppe der Leser:innen von null bis zwölf Jahre nicht so richtig geeignet waren, sondern eher für ein Lesealter ab 14 und aufwärts […]. Deshalb haben wir gesagt: „Wir haben große Lust darauf und großen Spaß daran, Bücher zu machen, deshalb probieren wir das einfach mal“ und haben einen Verlag gegründet, der so ein bisschen ein programmatischer Anschluss an den Zuckersüß Verlag sein soll. Im Sinne von: Wenn die Kinder mit Zuckersüß-Büchern aufwachsen und irgendwann 13, 14, 15 sind, dann gibt es im Katalyst Verlag Bücher, die sie lesen können. Wir haben im Katalyst Verlag mittlerweile auch einen sehr starken Fokus auch auf queere Bücher, weil wir der Meinung sind, dass insbesondere queere Geschichten in der Vergangenheit sehr unterrepräsentiert waren, aber sind auch nicht ausschließlich darauf festgelegt. Der Katalyst Verlag ist ein bisschen Fortsetzung des Zucksüß Verlags, aber eben für eine andere Altersstufe und Zielgruppe und reflektiert einfach so ein bisschen unsere Leidenschaft für das Büchermachen.

 

Lukas und Anna Kampfmann, Gründer:innen des Zuckersüß Verlages und des Katalyst Verlages

 

Wie hat man anfangs im Buchhandel auf Ihr Programm im Zuckersüß Verlag reagiert?

Im Buchhandel hat man auf unser Programm eigentlich von Anfang an sehr positiv reagiert, was vor allen Dingen damit zu tun hat, dass es tatsächlich Kund:innen waren, die im Internet auf uns aufmerksam geworden sind und dann in den Buchhandlungen nach dem Zuckersüß Verlag gefragt haben. So ist der Buchhandel auf uns aufmerksam geworden, hat sich unsere Bücher angeguckt und fand das in der Tat sehr interessant was wir machen, einfach weil wir da in unseren Büchern einen sehr progressiven Ansatz verfolgen und Themen behandeln, die in der Vergangenheit vielleicht nicht die Aufmerksamkeit bekommen haben. Und das heißt, dass es da tatsächlich ein Stück weit eine Lücke gab und das ist sehr gut aufgenommen worden. Von daher war das eine tolle Erfahrung für uns und es ist nach wie vor so, dass wir den Eindruck haben, dass unser Programm im Buchhandel sehr gut aufgenommen wird. Jetzt ist es so, dass auch andere Verlage ihr Programm in die Richtung ausgeweitet haben und eben auch progressive, sensible Themen [wie] Vielfalt, ein ganz großes Thema [sind]. Das ist natürlich schön, weil wir schon den Eindruck haben, dass die Kinderbuchlandschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz dadurch ein bisschen vielfältiger wird und das ist einfach eine tolle Sache.

 

Wie fielen nun die Reaktionen auf den Katalyst Verlag aus?

Die Reaktionen auf den Katalyst Verlag sind auch bisher sehr positiv gewesen. Wir hatten da natürlich auch nicht so richtig eine Ahnung, wie das werden wird. Wir sind, wie gesagt, ein kleiner Verlag, hatten nicht die Möglichkeit viel Werbung, viel Marketing zu machen, aber hatten den Eindruck, dass eben über den Zuckersüß Verlag durchaus viele Buchhandlungen dann auch sehr neugierig waren, was wir beim Katalyst Verlag vorhaben und waren da sehr positiv überrascht. Wir hatten jetzt tatsächlich eine ganze Reihe von großen Schaufenstern. Hugendubel in Berlin zum Beispiel, […] Prior & Mumpitz [haben] ein großes Fenster gemacht mit unseren Titeln. Wir sind jetzt im Juni auf ganz vielen Pride Month Tischen vertreten mit unseren Büchern und insbesondere die beiden Romane, die wir gemacht haben „Ich wünsche dir nur das Beste“ und „Der schwarze Flamingo“ sind da sehr sehr gut angekommen. Das ist natürlich eine tolle Sache für uns.

 

Sie haben sich beim Zuckersüß Verlag auf die Fahnen geschrieben, Bücher für junge Eltern zu machen. Wie wichtig sind aber für Sie auch Institutionen, z.B. Bibliotheken, Schulen, Kindergärten?

Institutionen, wie Bibliotheken, Schulen, Kindergärten sind für uns natürlich auch sehr wichtig, klar. Am Ende des Tages machen wir Bücher nicht zwangsläufig für junge Eltern, sondern für junge Familien, so wie wir eine sind. Wir haben selbst kleine Kinder und lesen sehr gern zusammen und machen die Bücher, die wir als Familie gern zusammen lesen möchten. Es ist natürlich so, dass Bibliotheken, Schulen, Kindergärten da eine wichtige Rolle spielen, weil junge Familien natürlich über diese Institutionen auch oft auf Bücher aufmerksam werden. Wir haben ganz viele Erzieher:innen und Lehrer:innen, die bei uns Bücher tatsächlich für die Schule oder die Kita kaufen und die auch im Unterricht oder bei der Betreuung der Kinder einsetzen. Das ist eine ganz tolle Sache. Darüber hinaus haben wir auch oft von therapeutischen Institutionen gehört, also zum Beispiel Psychotherapien oder Kliniken, die unsere Bücher teilweise bei der Bewältigung von Essstörungen, bei der Bewältigung von Traumata und anderen Themen einsetzen. Das ist natürlich eine ganz großartige Sache und darüber freuen wir uns sehr.

 

Stichwort Sensitivity Reading: Nutzen Sie dies im Verlag?

Sensitivity Reading ist in der Tat eine wichtige Sache, das nutzen wir auch im Verlag. Wir nutzen das nicht bei jedem Buch, aber wir nutzen das bei den Büchern, wo wir auf der einen Seite entweder politische oder eben auch sensible Themen haben. Bei dem Katalyst Verlag ist es tatsächlich, glaube ich, fast jedes Buch gewesen, wo wir ein Sensitivity Reading gemacht haben, bei den Romanen auf jeden Fall und eben auch bei den Sachbüchern. Im Zuckersüß Verlag machen wir das auch relativ häufig, da arbeiten wir sehr gern mit DisCheck zusammen. DisCheck ist eine Organisation aus Leipzig, die deutschlandweit Expert:innen haben, die eben auf Sensitivity Reading zu [bestimmten] Themen spezialisiert sind und wir nutzen das sehr gern, halten das für wichtig, weil wir natürlich ganz viele Perspektiven nicht haben, ganz viel Wissen nicht haben und über ein Sensitivity Reading können wir das bekommen und können damit die Bücher am Ende besser und inklusiver gestalten und das ist uns sehr wichtig.

 

Inwiefern sind gerade Ihre Kinderbücher auch dazu da, um die Eltern aufzuklären?

Kinderbücher können natülich auch Eltern aufklären, mit Sicherheit, das kommt so ein bisschen auf den Inhalt an. Es gibt natürlich manche Eltern, die gezielt nach Büchern wie unseren suchen, um bestimmte Themen gemeinsam mit ihren Kindern zu besprechen und aufzubereiten. Andere Eltern suchen vielleicht einfach nach einer schönen unterhaltsamen Geschichte und lernen auch noch etwas dazu. Da freuen wir uns dann natürlich umso mehr, aber das ist, glaube ich, immer unser Anliegen, dass unsere Bücher nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Erwachsenen, die die Bücher vorlesen, schön und inhaltlich gut gemacht sind.

 

Ihr Verlag ist ja noch eher klein und familiär. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus, gerade mit Kindern?

Unser Verlag ist in der Tat klein und familiär. Der Arbeitsalltag ist eine Herausforderung. Das bedeutet, dass wir in der Anfangszeit, als unsere Kinder noch sehr klein waren, eigentlich nur dann arbeiten konnten, als sie geschlafen haben, also während dem Mittagsschlaf oder eben dann abends. Unsere reguläre Arbeitszeit ging dann irgendwann so gegen neun Uhr los und ging bis Mitternacht. Das war eigentlich so der Standardarbeitstag. Mittlerweile gehen unsere Kinder auch in die Kita und das bedeutet, dass wir dann zwischen neun und 15 Uhr arbeiten können. Der Vormittag und der frühe Nachmittag, das ist dann unser Arbeitsalltag und ab 15 Uhr ist dann Schluss, dann verbringen wir die Zeit mit unseren Kindern. Das bedeutet, wir haben keine Möglichkeit, in Vollzeit an unserem Verlag zu arbeiten, das ist eine Herausforderung, aber gleichzeitig auch etwas, was uns zwingt, uns sehr zu fokussieren und nicht zu viele Sachen auf einmal zu machen und das kann auch Vorteile haben, weil man dadurch auch enorm produktiv wird, weil man produktiv sein muss.

 

Was müsste sich Ihrer Meinung nach noch in unserer Branche ändern, um familienfreundlicher zu werden?

Das ist tatsächlich schwer für uns einzuschätzen, weil wir den Arbeitsalltag in anderen Verlagen gar nicht so gut kennen. [Wir sind] Quereinsteiger:innen, das ist unser erster Verlag und wir machen das eben so, wie wir das für richtig halten und haben da nicht so richtig einen Einblick. Aber es ist natürlich so, dass [es] insbesondere in Großstädten wie Berlin, gar nicht so einfach ist, einen Kitaplatz zu finden. Das heißt flexible Arbeitszeiten, die Möglichkeit remote von zuhause aus zu arbeiten zum Beispiel, [sind] wichtig, aber am Ende reden wir natürlich nicht nur über ein Branchenthema, sondern über ein Gesellschaftsthema: „Wie kann unsere Gesellschaft insgesamt familienfreundlicher werden?“ Da gibt es noch einen weiten Weg zu gehen. Zum einen, glaube ich, [ist] immer Anerkennung von Eltern im Allgemeinen [wichtig], insbesondere von Müttern.  Die [Mütter übernehmen] ja nach wie vor einen Großteil der Care-Arbeit und [sind] gleichzeitig oft berufstätig und das ist dann natürlich unendlich schwierig unter einen Hut zu bringen. Die Gesellschaft insgesamt muss […] familienfreundlicher werden und die Arbeitswelt als solche muss natürlich auch gucken, wie kann sie Flexibilität schaffen, damit der Arbeitsalltag für junge Familien einfacher zu bewältigen ist. Für uns bedeutet das zum Beispiel, [dass] wir remote und asynchron in unserem Verlag [arbeiten]. Das bedeutet, die Leute, die mit uns arbeiten, können sich aussuchen, von wo sie arbeiten und sie können sich auch aussuchen, wann sie arbeiten. Es gibt keine festen Arbeitszeiten und wir machen keine Meetings oder so etwas. So ist eben der Arbeitsalltag so flexibel, dass man ihn um den Alltag mit der Familie herum strukturieren kann und nicht andersherum, das ist uns ganz wichtig.

 

Triggerwarnungen sind momentan sehr stark in der Branche diskutiert. Im Jugendbuch nutzen Sie bereits Content Notes. Warum haben Sie sich dazu entschieden? Denken Sie auch im Kinderbuch darüber nach, oder ist das für Sie vor allem ein Thema im Katalyst Verlag?

Triggerwarnungen nutzen wir im Jugendbuch, genau. Dazu haben wir uns entschieden, weil wir das einfach respektvoll und wichtig finden und dass es zum guten Ton gehört. Menschen, die ein Trauma erlebt haben, sollen nicht unbewusst und ungewollt retraumatisiert werden. Sie sollten da selbst eine Entscheidung treffen können, inwiefern sie sich eben solchen Themen wieder nähern wollen, und dazu ist es dann einfach wichtig, vorab zu sagen „folgende Themen werden in diesem Buch behandelt“, dass da einfach niemand beim Lesen überrascht wird und vielleicht auch negativ überrascht wird. Das wollen wir nicht und deshalb sind content notes wichtig.

Im Kinderbuch machen wir das nicht, weil in unseren Kinderbüchern eigentlich keine traumatischen Erlebnisse in irgendeiner Art und Weise thematisiert werden. Sollte das einmal in einem Kinderbuch der Fall sein, dann würden wir auch natürlich eine Triggerwarnung aussprechen. Aber insbesondere im Jugendbuch ist es natürlich so, dass solche Themen immer mal wieder besprochen werden und da ist es eben sehr sehr wichtig, dass es da dann eine kurze Notiz gibt, einen kurzen Hinweis gibt, damit die Leser:innen das vorher wissen.

 

Wie stark dürfen Kinder- und Jugendbücher auf sensible Themen eingehen?

Das ist schwer zu beantworten. So stark, wie das die Autor:innen für richtig halten. Es ist einfach wichtig, dass es altersgerecht aufbereitet wird. Da ist natürlich die Frage, wie alt die Kinder, die das Buch dann am Ende lesen oder vorgelesen bekommen, sind. Man muss dann gucken, ob es Möglichkeiten gibt, diese Themen auf eine Art und Weise zu zeigen und zu erklären, die eben mit Sicherheit keine Angst machen und keine Vorurteile schaffen zum Beispiel. Und das müsste man sich im konkreten Fall angucken, was genau das Thema ist und wie das tatsächlich aufbereitet wird. Was für uns in der Vergangenheit immer sehr gut funktioniert hat, war, bestimmte Themen einfach beiläufig mal in der Geschichte mitlaufen zu lassen, ohne dass sie explizit erwähnt werden und damit natürlich auch vieles zu normalisieren, zum Beispiel das Thema Behinderungen. Das kommt in vielen unserer Bücher vor, wo es Menschen mit Behinderungen gibt, wo aber deren Behinderung nirgendwo explizit thematisiert wird, sondern das ist einfach so, wie es in der Welt auch ist und Eltern können dann entscheiden, inwiefern sie dann nochmal extra darauf eingehen oder eben nicht, aber wir halten das für wichtig, dass sowas einfach repräsentiert und gezeigt wird.

 

Wie wählen Sie Ihre Autor:innen aus? Inwiefern spielt auch hier Diversität eine Rolle für Sie?

Unsere Autor:innen wählen wir tatsächlich nicht bewusst aus, sondern wir wählen immer den Stoff, beziehungsweise das jeweilige Buch aus und schauen dann natürlich im zweiten Schritt, wer dahinter steht, wer das Buch geschrieben hat. Ich glaube, bei uns im Kinderbuchbereich [ist es] so, dass es 95% weibliche Autor:innen sind, also das ist einfach ein Fakt, aber wie gesagt auch nichts, worauf wir besonderen Wert gelegt haben. Das heißt, für uns spielt Diversität und Vielfalt, insbesondere in den Büchern, eine Rolle. Wir würden kein Kinderbuch machen, dass eine wunderschöne Geschichte hat [und] ganz toll ist, wenn in diesem Buch ausschließlich blonde und blauäugige Kinder vorkommen würden, das würde für uns nicht funktionieren. Für uns ist einfach Vielfalt ein Kriterium bei der Auswahl eines Buchs an sich und im zweiten Schritt schauen wir dann natürlich eben auch auf die Autor:innen. Was uns sehr wichtig ist, ist dass wir eher bei der Auswahl der Übersetzer:innen und Lektor:innen auf eine gewisse Vielfalt achten, beziehungsweise, dass wir darauf achten, dass die Menschen, die diese Bücher bei uns übersetzen oder lektorieren, […] auch einen entsprechenden Hintergrund haben, um diese Perspektiven auch gut nachempfinden zu können und die Übersetzungen gut machen können.

 

Wir danken Lukas Kampfmann für das informative und interessante Interview!

 

 

 

Bild und Logos wurden uns zur Verfügung gestellt von Lukas Kampfmann.

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert