Digitale Barrierefreiheit in der Buchbranche Eine Bestandsaufnahme

Lesezeit: 3 Minuten

Wie weit ist die Buchbranche in puncto digitale Barrierefreiheit?

Behindert zu werden, kann jedem passieren: Sei es durch steigendes Alter, Krankheiten oder Unfälle. Umso sinnvoller ist es, unsere Gesellschaft möglichst barrierearm zu gestalten, sodass alle Menschen an ihr teilhaben können. Diese Barrieren finden sich jedoch nicht nur in der analogen, sondern ebenso in der digitalen Welt. Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung, welche auch vor der Buchbranche nicht Halt macht, stellt sich die Frage, wie gut die Buchbranche auf barrierefreies Lesen vorbereitet ist.

Was bedeutet Barrierefreiheit?

Bevor wir diese Frage beantworten können, sollte jedoch geklärt werden, was Barrierefreiheit eigentlich bedeutet. Paragraph 3, Absatz 1 des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) definiert Barrierefreiheit wie folgt:

„Produkte und Dienstleistungen sind barrierefrei, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind“ (1).

Demnach ist ein Produkt, für dessen Benutzung du eine andere Person um Hilfe bitten musst, nicht barrierefrei. Ein EPUB-Dokument, welches durch einen Screenreader ausgelesen wird, kann hingegen zumindest für sehbehinderte Menschen barrierefrei sein.

Ab dem 28.06.2025 zur Nutzung bereitgestellte Produkte und Dienstleistungen müssen laut BFSG barrierefrei sein. Für die Buchbranche stellen diese Produkte vor allem E-Books, E-Reader und Webshops dar. Im „Leitfaden zur Erstellung barrierefreier E-Books im Format EPUB3“ des Börsenvereins zeigt sich vor allem eine wichtige Eigenschaft barrierefreier E-Books: Die Möglichkeit, die Darstellung des Inhalts frei an die eigenen Bedürfnisse anpassen zu können. Dies lässt sich z.B. durch das Einstellen der Schriftgröße, Schriftart oder auch der Farbkontraste ermöglichen (2).

Der Status quo

Nach einer Umfrage des Digital Publishing Reports Anfang diesen Jahres haben sich bisher 64 Prozent der befragten Medienunternehmen nicht intensiv mit Barrierefreiheit auseinandergesetzt. 80 Prozent der Unternehmen können noch kein Konzept zur Etablierung von Barrierefreiheit in ihren Produkten vorlegen. Allerdings wollen immerhin 15 Prozent Barrierefreiheit durch Content-First-Prozesse ermöglichen (3).
Weniger als 14 Monate vor der Verpflichtung zur Barrierefreiheit scheinen Medienunternehmen völlig unvorbereitet zu sein.

Dafür hat der Börsenverein 2020 die Taskforce „Barrierefreiheit“ ins Leben gerufen. Dort kommen u.a. Verlage, der Zwischenbuchhandel und Organisationen wie das dzb lesen zusammen, um gemeinsam Konzepte für die Implementierung von Barrierefreiheit in der Buchbranche zu erarbeiten.

Ansätze für die Zukunft

Sowohl im Hinblick auf die Digitalisierung als auch auf Barrierefreiheit sollten Verlage ihre Produktion nach Content-First-Strategien ausrichten. Dies erleichtert es, bereits ab dem ersten Moment Produkte barrierefrei zu gestalten. Durch den Fokus auf die Gliederung von Daten lässt sich dieser Content später leichter von Assistenztools verarbeiten.

Zudem sollten Verlage jetzt tätig werden und Angebote wie die Taskforce des Börsenvereins oder Beratungsstellen des Bundes nutzen oder brancheninterne Kooperationen in Erwägung ziehen.

Des Weiteren müssen weit verbreitete Programme wie InDesign barrierefreies Produzieren unterstützen. Nach der Better EPUB from InDesign Working Group mangelt es InDesign in 33 Punkten an barrierefreien Funktionen. Die Arbeitsgruppe fordert daher, alle Werkzeuge zur barrierefreien Layoutgestaltung in InDesign zu implementieren (4). Diese Bündelung könnte Verlagen die Bereitstellung barrierefreier Produkte erleichtern.

Auch KI könnte die Barrierefreiheit von Verlagsprodukten vorantreiben. So können Programme wie ChatGPT komplexe Inhalte in Leichte Sprache übersetzen und damit sowohl kognitiv Beeinträchtigten als auch Fremdsprachler:innen einen Zugang zu Wissen und Unterhaltung ermöglichen. Der Verbund Leichte Sprache Braunschweig rät jedoch, von KI übersetzte Inhalte in Leichter Sprache immer durch qualifiziertes Personal überprüfen zu lassen (5). In Zukunft wären KI-Tools wünschenswert, welche explizit auf die Bedürfnisse behinderter Menschen ausgerichtet sind.

Unsere Meinung

Gerade im Bereich der Medien ist die Inklusion aller essenziell, um nach der demokratischen Idee allen Menschen den Zugang zu Wissen zu ermöglichen. Daher sollten Verlage die Chance nutzen, um jetzt Barrierefreiheit als weiteren Qualitätsstandard etablieren. Außerdem profitieren auch Verlage von Produkten, welche für eine Großzahl von Menschen verfügbar sind: Schließlich lassen sich so viele neue Kund:innen gewinnen.

 

Quellen:

(1) https://bfsg-gesetz.de/
(2) https://www.boersenverein.de/beratung-service/barrierefreiheit/leitfaden-barrierefreie-epub3-e-books/
(3) https://digital-publishing-report.de/magazine/dpr-mag-1-2-2024/
(4) https://www.fondazionelia.org/en/research-and-development/adobe-indesign-at-which-stage-is-the-accessibility-for-epub-production/
(5) http://www.verbund-leichte-sprache.de/2023/11/15/wir-brauchen-einen-ki-kodex-fuer-leichte-sprache/

Autorin: Carmen Jenke

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert