„Schriftsteller sind zu ideologieverblendet und fachlich ahnungslos.“

© Renate von Mangoldt Regelmäßig schreiben Sie politische Essays, die in Zeitungen wie dem SPIEGEL, TAZ oder DIE WELT erscheinen. Sind Sie der Meinung, dass Schriftsteller dadurch in das politische Geschehen eingreifen und Veränderungen hervorrufen können? Es ist sehr selten, dass „Schriftsteller ins politische Geschehen eingreifen und Veränderungen hervorrufen“. In Deutschland fällt mir da Büchner ein, Forster, Fichte, Thomas Mann (in Maßen) mit „Von deutscher Republik“, und natürlich die Nazi- und Kommunismusverherrlicher im 3. Reich und der DDR. Grass und Konsorten-Beiträge würde ich nicht in diese Reihe des „Eingreifens und Veränderns“ stellen. International: Liao Yi Wu und Li Xiao Bang…

„Stirbt mir meine Katze, bewegt mich das ungleich mehr als 200.000 Tsunamitote in Südostasien.“

© Renate von Mangoldt Abgesehen vom Nahen Osten – welche Länder, welche Kulturen, welche Krisenherde bewegen Sie besonders? Ich bin ein sehr durchschnittlicher Mensch, insofern als mich alles das bewegt, was mich persönlich betrifft und alles das kalt lässt, was weit weg ist. Stirbt mir meine Katze, bewegt mich das ungleich mehr als 200.000 Tsunamitote in Südostasien. Das ist vielleicht grotesk, aber es ist menschlich. Wir müssen hier zwischen „bewegen“ und „interessieren“ unterscheiden. Mein Interesse ist sehr viel weiter gefasst als meine Emotionalität. Ersteres ist potentiell grenzenlos, letztere greift nur bei persönlicher Bekanntschaft. Bewegen tun mich also die Orte, an…

„Nur der Kontext ist real.“

© Renate von Mangoldt Ihre Romane greifen meist reale Ereignisse auf – wie lernen Sie die Menschen kennen, deren Geschichten Sie verarbeiten? Du lieber Gott!! Wie lerne ich Menschen kennen. Genauso wie jeder andere. In der Jugend leichter, später schwerer. In der Schule, auf der Universität, bei der Arbeit, im Bekanntenkreis. Die Frage ist nicht, wie ich Menschen kennenlerne, sondern wie ich die, die ich sehe oder kenne, wahrnehme. Zuerst und zuletzt versteht man die Menschen, indem man sich selbst analysiert, man ist ja auch einer. Dann indem man ihnen zuhört und zusieht. Dann indem man aus dem Individuellen das…

„Über den Sprachen ist die Sprache.“

© Renate von Mangoldt Beim Lesen Ihres Libanesischen Reisetagebuchs haben die zahlreichen französischen Zitate meinen Lesefluss zuweilen gestört und eine gewisse Frustration über meine Unfähigkeit des Erfassens des kompletten Inhalts erzeugt. Warum lassen Sie so viele französische Sätze unübersetzt, wohl wissend, dass nicht all Ihre Leser der französischen Sprache mächtig sind? Sehen Sie sich Kinofilme in der synchronisierten Version oder in der Originalversion an? Ersteres bedeutet meines Erachtens, dem Film, der aus Bild- UND Tonspule besteht, den Respekt versagen und vor allem, sich eine Erfahrung der Fremdheit zu versagen, die ganz existentiell ist im Leben. Man muss nicht alles verstehen….

„Heuchler-Leser, die behaupten, sie fänden keine Zeit zum Lesen“

© Renate von Mangoldt Durch die komplexe Sprache, die sich in Ihrer Literatur wiederfindet, schränkt sich Ihre Zielgruppe ein. Schreiben Sie nur für eine akademische Gesellschaftsklasse? Es ist ein Irrtum zu glauben, man werde durch eine akademische Ausbildung zum Leser. Man wird durch Lesen zum Leser. Lesen können die meisten. Je mehr sie, konzentriert – lesen, desto größer wird ihr Wortschatz, desto größer wird ihr Verständnis, desto mehr Synapsen vernetzen sich. Ich glaube, es war Einstein, der gesagt hat: Mache die Dinge so einfach wie möglich, aber nicht einfacher. Komplexe Sachverhalte bedeuten komplexe Strukturen, alles andere heißt den Leser und…