Der Juni ist vorbei und somit auch der Pride Month. Wir hoffen, Euch haben unsere Beiträge gefallen. Zum Abschluss dieses besonderen Monats haben wir nun noch ein kleines Interview für Euch. Unser Interviewpartner hat uns bereits im letzten Semester zum Tag der Verlage beehrt. Na, habt Ihr schon eine Vermutung?
Christian Handel hat sich bereit erklärt, uns ein paar Fragen rund um queere Bücher zu beantworten.
Er selbst geht offen mit seiner Homosexualität um. Dies spiegelt sich auch in seinen Fantasy-Büchern wider. In jeder seiner fantastischen Geschichten gibt es queere Charaktere, zumeist als Hauptfiguren. Falls Ihr neugierig geworden seid: Auf Instagram findet Ihr ihn unter @christian.handel und auch auf seiner Webseite www.christianhandel.de erfahrt Ihr mehr über ihn und seine Bücher. Nun aber das Interview:
Die LGBTQIA+ – Community wird immer bekannter und im Zuge dessen nehmen mittlerweile auch immer mehr Verlage Bücher mit queeren Protagonisten in ihr Programm mit auf. Wie finden Sie das?
Das freut mich sehr! Und zwar nicht nur, dass Bücher mit queeren Protagonist*innen jetzt immer häufiger in Programmen auftauchen, sondern auch, dass viele Geschichten von Own Voice-Autor*innen geschrieben werden.
Als Kind waren Bücher mit queeren Held*innen rar. Die wenigen Bücher, die ich fand, waren Schätze für mich. Ich glaube, wir brauchen diese Geschichten einerseits für queere Leser*innen, damit sie sich repräsentiert sehen, andererseits aber unbedingt auch für heteronormative Lesende. Denn ich glaube fest daran, dass Geschichten die Welt verändern können, hoffentlich zum Positiven.
Die queeren Protagonisten werden dabei ja nicht ausschließlich von Autor*innen zum Leben erweckt, die selbst Teil der Community sind. Wie ist Ihre Meinung dazu? Denken Sie, dass das die Figuren negativ beeinflusst?
Eigentlich begrüße ich sogar eher, dass auch Autor*innen, die selbst nicht queer sind, LGBTQ+ Figuren in ihren Büchern auftauchen lassen. Ich möchte daran glauben, dass uns das dabei hilft, als Menschen eher unsere Gemeinsamkeiten zu sehen als das, was uns trennt.
Ich erwarte allerdings, dass nicht-queere Autor*innen ihre Hausaufgaben machen, sprich: Gespräche mit queeren Menschen führen und recherchieren, so wie wir Autor*innen es grundsätzlich machen sollten. Es gibt ein paar Stolpersteine, die man leicht umschiffen kann, vor allem, wenn auch die Mitarbeiter*innen in Verlagen und im Buchhandel, allgemein in der Buchbranche, offen sind und divers.
Ich möchte aber auch betonen, dass ich glaube, dass es queere Themen und Geschichten gibt, die davon stark profitieren, wenn eine Own Voice-Stimme sie erzählt, und das sollte der Buchmarkt noch stärker fördern.
Viele queere Geschichten werden aus meiner Sicht noch aus einem heteronormativen Blickwinkel erzählt. Damit meine ich, dass man traditionelle Lebensmodelle oft 1:1 auf eine queere Community überträgt. Diese Geschichten haben ihre Berechtigung, wir brauchen aber auch Bücher, die aus diesem Schema ausbrechen und andere Facetten der queeren Welt zeigen, die heute noch wenig thematisiert wird.
Trotz der, im Gegensatz zu früher, durchaus toleranteren Gesellschaft, haben immer noch viele Menschen Angst davor sich zu outen. Glauben Sie, dass queere Bücher bei einem Outing hilfreich sein können? Vielleicht auch besonders bei Jugendlichen, da es ja auch immer mehr Jugendbücher in diesem Bereich gibt?
Und könnten die Bücher Ihrer Ansicht nach auch eher konservativen Menschen helfen, offener gegenüber diesem Thema zu werden?
Ich glaube das nicht nur, sondern ich weiß es. Weil queere Geschichten mir als Jugendlicher geholfen haben, zu mir selbst zu finden und zu mir zu stehen. Damals waren das vor allem Filme und Serien und einige wenige, tolle Bücher. In der Fantasy oder anderen Genres gab es kaum queere Repräsentation. Wenn sich das ändert, lernen Jugendliche vielleicht sogar früher, dass sie kein besserer oder schlechterer Mensch sind, nur weil sie nicht hetero lieben.
Was den Teilaspekt zu den eher konservativen Menschen angeht: Auch das glaube ich. Einige Menschen sind eher negativ der queeren Community gegenüber eingestellt, weil sie zu dieser Welt keine Berührungspunkte haben. Wenn sie – und sei es in Geschichten – Rollenmodellen begegnen, die sie als gar nicht so anders erleben, kann das m. E. einen Einfluss haben. Ich denke, man sieht sehr deutlich, wie die Popkultur grundsätzlich die Einstellung unserer Gesellschaft auf queere Themen geprägt hat und weiterhin prägt.
Auch wenn es zunehmend mehr Bücher werden, so überwiegen ja noch immer die Bücher mit nicht-queeren Figuren. Finden Sie, dass es noch mehr Vielfalt geben sollte? Sollten Ihrer Meinung nach auch noch andere Gruppen der LGBTQIA+ Community stärker vertreten werden?
Wir befinden uns in einem Prozess, der sich langsam wandelt. Die Geschichten werden bereits bunter. Es gibt Geschichten mit und über Drag Queens, über transgeschlechtliche Menschen etc. Die waren früher noch rarer gesät als Bücher über Lesben und Schwule.
Trotzdem wünsche ich mir persönlich natürlich noch mehr Vielfalt, gerade auch, was intersektionelle Figuren angeht, aber auch, wie oben berichtet, Geschichten, die queere Lebensmodelle abbilden, die wir derzeit noch nicht bzw. kaum in der Buchwelt antreffen.
Sie selbst haben ja sicherlich auch schon Bücher gelesen, die queere Protagonisten haben. Eventuell auch von Autoren, die es selbst nicht sind. Wie fanden Sie die Umsetzung?
Das ist eine sehr heikle Frage, weil wir gar nicht immer wissen, ob eine Autorin oder ein Autor queer ist. Ich erinnere an den Fall Becky Albertalli. Die Autorin von „Nur drei Worte“ (Love, Simon) sah sich gezwungen, sich öffentlich als bisexuell zu outen, weil man ihr massiv vorwarf, als Hetero-Frau über queere Jugendliche zu schreiben.
Hier geht für mich der Aktionismus zu weit. Niemand, der sich öffentlich nicht outen will, sollte sich outen müssen. Jeder, der sich öffentlich outen möchte, sollte das auch können.
Um auf Ihre Frage direkt zu kommen: Ich habe bereits einige Bücher mit queeren Figuren gelesen von Autor*innen, von denen ich annehme, dass sie hetero sind, und die mir gut gefallen. Ebenso wie ich bereits queere Bücher anderer queeren Autor*innen gelesen habe, die mir nicht gefallen haben. Eine einfache Antwort gibt es also nicht.
Hätten Sie zum Abschluss auch noch ein paar Buchempfehlungen Ihrerseits?
Sehr gern, und zwar unter anderem:
Andreas Steinhöfel: Die Mitte der Welt – inzwischen ein moderner Coming Out-Klassiker, der sich auch heute noch wunderbar lesen lässt.
David Levithan: Two Boys Kissing: Jede Sekunde zählt – ein aus meiner Sicht für queere Jugendliche extrem wichtiges Buch. Es erzählt nicht nur von queeren Jugendlichen von heute, sondern auch von der queeren Generation, die von der AIDS-Pandemie direkt betroffen war und darüber, was es damals bedeutet hat, schwul zu sein. Bewegend und lehrreich.
Hansjörg Nessensohn wiederum hat einen sehr lesenswerten Roman über das schwule Leben in Zeiten des Paragraphen 175 hier in Deutschland geschrieben: Mut. Machen. Liebe.
Fans von Jugendkrimis sollten sich unbedingt die Romane von Caleb Roehrig ansehen.
Wer Fantasy-Romane bevorzugt, dem lege ich die Bücher von Lynn Flewelling ans Herz sowie „Das Lied der Krähen“ von Leigh Bardugo.
Außerdem möchte ich natürlich die Romane meiner Kolleg*innen von @facettenreichlesen empfehlen.
Wir danken Christian Handel sehr dafür, dass er sich Zeit genommen hat, unsere Fragen so offen und ausführlich zu beantworten.
An unsere Leser:innen: Wir hoffen, Ihr hattet Freude beim Lesen und habt vielleicht etwas Inspiration für Euer nächstes Leseerlebnis gefunden