Ändert sich das Leseverhalten, weil die Medien in denen wir lesen sich ändern? Oder ändert sich das Schreiben, weil der Leser darauf konditioniert wird, die Essenz aus einer minimalistischen Kurzüberschrift zusammenzufassen? Ändert sich das Schreiben, weil der Leser ungeduldig wird, wenn ihm nach kürzester Zeit nicht mehr der Atem stockt, er also durch sensationelle Überschriften erst gefisht und dann auf Teufel komm raus zum zu- Ende- Lesen angehalten wird?
Unser täglich Brot
In den Untiefen des Netzes – wie viel Prosa, Belletristik, Texte verlieren sich, wie viele Ideen bleiben ungedacht oder nur einer kleinsten, erlesenen Gruppe zugänglich? Am Ende bewegt der Mensch sich in gewohnten Bahnen, in sicheren Gefilden, er ist ein Gewohnheitstier, das Lesezeichen hinzufügt, wie Briefmarken der Briefmarkensammlung, um seine Errungenschaften später wieder bewundern zu können oder um festzustellen, dass die angepeilte Adresse binnen weniger Monate möglicherweise gar nicht mehr existent ist. Das Gewohnheitstier kann tagtäglich sein Standardprogramm abspulen, um sich pressespiegelartig auf den neusten Stand zu bringen. Wahrscheinlich gibt es einen Ordner für Nachrichten. Also grast er die Seiten ab, die relevant sein könnten – TAZ, FAZ, SZ, Spiegel. Und natürlich schaffen diese Seiten es immer wieder, dass man sich angekommen fühlt und natürlich auch informiert, durch eine krude Mischung aus Politik, Katastrophen, Umwelt, Sozialkritik, Kultur, Mode und Gossip. Angekommen in der eigenen geschaffenen Identität, zusammengebastelt aus Inhalten, die uns eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten nicht existenten Subkultur attestieren.
Und weil die knapp bemessene Zeit gar nicht mehr Aufnahme zulässt, wird das Konzentrat des Weltgeschehens im übelsten Fall nur noch aus dem Newsfeed der eigenen Sozialen Plattform entnommen. Der Nutzer schafft sich sein eigenes Universum mit Schlupflöchern nach außen, mit Möglichkeiten die Grenzen zu überschreiten, denn die Freunde haben ja auch noch Freunde und die haben Freunde, die Freunde haben, die befreundet sind mit anderen Freunden.
Was sollen wir lesen?
Die ständige Verfügbarkeit und unendliche Fächerung der Inhalte, des sogenannten Content, aber vor allem die Fähigkeit substanzielles und fundiertes Wissen, also nützliches von nutzlosem zu trennen wird vom Leser, dem Konsumenten erwartet und wir schulen uns immerfort darin – jeden Tag, jede Stunde und jede Minute aufs Neue, sobald wir ON sind. Wie schnell folgt man einer reißerischen Meldung, einer schwer einzuordnenden Website und stellt sich während des Lesens hoffentlich die Frage- Was ist das hier eigentlich? Zum Glück finden auch die Außenseiter ihre Kritiker und so befassen sich im unabhängigen Netz die Kritiker mit den Kritikern und versuchen den Leser in Medienkompetenz zu schulen.
Was also sollen wir lesen?
Es gibt Unternehmen, die den geneigten Leser für sich zu gewinnen suchen, denn ein Unternehmen braucht Aufmerksamkeit und muss sein Image pflegen. Es werden also ganze Abteilungen in Unternehmen eingerichtet, die für die Erstellung, das Bilden von Inhalten verantwortlich sind. Denn da wo etwas ist, wo etwas geschaffen wird, wo Klicks erzielt werden, da steigt der allseits gewünschte Bekanntheitsgrad und dementsprechend das Ranking. Dafür verantwortlich ist der sogenannte Content Manager und sein Stab aus Autoren und Marketingmenschen. Der Inhalt, die Veröffentlichung zeigt dem Leser, wie das Unternehmen sich gern sehen möchte. Content, ist neben dem Begriff Social Media ganz nah am Puls der Zeit überhaupt. Die mediale Welt des Internets wird also gemacht und wir müssen filtern und unsere Lesegewohnheiten überprüfen. Lesen wir uns kreuz und quer durchs Netz, oder greifen wir hin und wieder auch zu anderen Quellen?
Denn, seien wir mal ehrlich: es ist wesentlich einfacher einen Artikel, der mein Interesse weckt auf meinem Tablet, Smartphone oder Laptop anzulesen. Im Fall, dass mir die Lust darauf vergeht, kann ich ihn einfach mit einem Klick aus meinem Bewusstsein entfernen. Entgegen dem physischen Vorgang eine Zeitung in die Hand zu nehmen, sie im Vorfeld irgendwo zu erwerben, aus einem großen Angebot heraus, die für mich Richtige herauszupicken, ohne dass ich nach dem Verschlingen der Vorder- und Rückseite bereue, meine 4,60€ nicht in einen Frappe Caffe Latte investiert zu haben, um mich dann mit diesem Gegenstand in der Hand herumzuquälen, der so unverschämt benutzerunfreundlich ist. Denn nimm mal „Die Zeit“ in ihrem vollen Umfang irgendwo mit hin und komm mal klar mit ihren einzelnen, mehrere Riesen-Seiten umfassenden Büchern (so nennt man tatsächlich die ineinander gefalteten Riesen-Seiten einer Zeitung) und wenn du dich dann durch den Riesen-Haufen gewühlt hast, sie nach dem durchblättern wieder in eine Form bringen konntest, ohne dabei wahnsinnig zu werden, stellst du zu aller Freude fest, dass Daumen- und Zeigefinger deiner Hand voll Druckerschwärze sind. Die Nostalgiker unter uns, wird es freuen, den Wertstoffhof auch.
Weg von der Nostalgie?
Es sind nicht mehr die kulturell geprägten Träger die Inhalte transportieren. Das Buch, Zeitungen, Fernsehen und Radio, die uns mit Informationen versorgen. Es sind vielmehr die elektronischen Dienste, Mediatheken, die Websites der Zeitungen und Zeitschriften, die ohnehin aktueller sind, als jedes gedruckte Wort und benutzerfreundlicher. Dazu sind diese multimedial erweitert um Videos, Bildstrecken, weiterführende Links. Ist der Leser auf den Geschmack eines Themas gekommen, kann er sich unendlich lang und breit in diesem verlieren.
Es sind auch die Blogger, die durch Konstanz und Prägnanz, Originalität und Extrovertiertheit ein neues Berufsbild geschaffen haben. Denn als Blogger kann man tatsächlich Geld verdienen. Der Blogger ist ein Mensch, der sich auf vielen Ebenen kultiviert selbst darstellt und vermarktet. Da sind die Mode-Blogger, Buch-Blogger , Musik-Blogger Blogs mit ästhetischen Inhalten künstlerischer Art oder solche, die alles ineinander vereinen. Und vor allem gibt es solche, die durch ihre Selbstdarstellung einen Kultstatus um ihre Person, ihren Blog erreichen und gezielt von Unternehmen als Werbeträger angeheuert werden und auch darüber schreiben
Auf eben jenen Seiten wird die voyeuristische Neigung des Lesers bedient, man schmökert in einer Art Tagebuch der Person, die ein Leben führt, dass einem selbst zu führen nicht möglich ist. Im Gegensatz, zu von Autoren verfassten Romanen, die für den einzelnen Leser unerreichbar sind weil Romane meistens auf Fiktion beruhen und die Autoren weit entfernt sind von ihren Lesern, gewinnt der einzelne Blogger durch scheinbare Nähe an Authentizität. Er zeigt sich von einer ganz persönlichen Seite, teilt mit dem Rest der Welt Reiseziele, Lesegewohnheiten und Kochrezepte. Eine Art Magazin mit leichter Unterhaltung. Aber ist die Beliebtheit der Blogs ein Anzeichen für den Wandel unserer Lesegewohnheiten?
Neue Literatur
Deutsche Dichter und Denker, auf die beziehen sich immer Alle gern, wenn sie die deutschen Tugenden zu benennen pflegen. Was geschieht mit denen?
Sie werden eigenständiger werden, nicht mehr abhängig von alteingesessenen Verlagen, denn Dank Self Publishing, eigens initiierten Veröffentlichungen von EBooks, kann uneingeschränkt Jeder ein Dichter und Denker sein und sein Gedankengut in jedweder Form veröffentlichen. So fanden sich beispielsweise im Winter vergangenen Jahres unter den ersten 10 Plätzen, der auf Amazon meistgekauften EBooks solche, die selbst publiziert wurden. Und auch Verlage können sich gründen, die z.B. ein ausschließlich auf e-Book-Publikationen ausgerichtetes Programm fahren. Nahezu alles ist möglich.
Und nun bekommt das e-Book auch seine eigene Messe. Am 21.Juni findet im SUPERMARKT in Berlin die 1. Electronic Book Fair statt. Eine Messe im unüblichen Sinn, die sich vollkommen diesem unbeständigen Medium widmet.
Was wir auf welche Art lesen mag sich ändern, aber dass wir lesen, daran wird sich nichts ändern. Denn solange ich lese, bin ich.
von Aleksandra Sitko