Autorin: Heidrun Bischoff
Mit dem Literaturnobelpreis ist es so eine Sache. Die „Short List“ besteht aus Werken, die kaum jemand im gemeinen Volk kennt. Dann wird ein Preisträger ernannt und ausgezeichnet (vorwiegend übrigens europäische Männer). Er bekommt Applaus, viel Geld und Ruhm. Ein paar Rentner blockieren die Tür ihres heimischen Buchladens mit dem Rollator, um das preisgekrönte Werk (des eben erst ausgezeichneten Schriftstellers) zu erwerben. Aber die Verkäufer_innen schütteln den Kopf: „nicht lieferbar“ heißt es, „Wir könnten es in zwei Wochen wieder bestellen.“ Allerdings hat bis dahin jener Rentner schon längst wieder vergessen, wer überhaupt gewonnen hat.
Ist das aber wirklich so, oder ist das nur der Eindruck aus dem sogenannten einfachen Volk, der Masse aus Weniglesern und Nichtlesern? Zumindest schien niemand traurig, als nach zahlreichen Skandalen rund um die schwedische Akademie beschlossen wurde, den Literaturnobelpreis in diesem Jahr nicht zu vergeben. Stellvertretend wird er im nächsten Jahr zweimal vergeben. Proteste gegen diese Entscheidung blieben aus, im Gegenteil, die Neue Zürcher Zeitung schreibt sogar: „Der Literaturnobelpreis ist ein Kind des 19. Jahrhunderts. Seine Zeit ist vorbei.“
Ganz so drastisch ist es natürlich nicht. Dass Literaturpreise wichtig sind, beweist nicht nur der Berliner Senat. Er führte im Mai diesen Jahres einen neuen Verlagspreis ein, um herausragende Buchverlage mit verlegerischem Engagement zu ehren. Dieser soll die Kultur, zu der Literatur maßgeblich beiträgt, fördern und wieder in das Bewusstsein der Bürger bringen. Preise sind aber auch dazu da, die Arbeit der Autoren und Verleger gebührend zu würdigen.
» Für die Buchbranche sind Preisverleihungen und Ehrungen von Autoren allein schon aus monetärer Hinsicht nicht unwichtig. «
Außerdem dienen sie der Differenzierung am Markt und anschließend der Orientierung . Dass solch eine Auszeichnung immense Verkaufserfolge nach sich zieht, ist jedem bewusst. Die Werke des Autors werden gekauft, vom Verlag teilweise überarbeitet und in einer neuen Auflage herausgebracht. Und ja, sie werden auch gelesen. Und nicht nur der Preisträger verdient daran. Auch die Werke derer, die als mögliche Gewinner gehandelt werden, erfreuen sich plötzlicher Beliebtheit. Sie werden massenweise nachgefragt und es kommt zu hohen Umsätzen sowohl im Buchhandel, als auch im betreffenden Verlag. Für die Buchbranche ist eine Preisverleihung und Ehrung eines Autoren, egal in welcher Form, demnach nicht unwichtig. Aber auch für deren Kunden spielt eine solche Veranstaltung eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Der Leser, der sich tausenden von Büchern, Geschichten und lyrischen Werken gegenüber sieht, wird durch eine Preisverleihung in eine Richtung gelenkt. Er hofft zwischen all diesen Möglichkeiten etwas auszuwählen, wovon er, nachdem er das Buch gelesen hat, nicht enttäuscht ist. Viel mehr noch hofft er auf ein besonders gutes Buch. Aber weil bei Büchern nicht im Vorhinein absehbar ist, ob der Inhalt dem Rezipienten gefällt, muss dieser eben hoffen. Literaturpreise können in der Hinsicht helfen schaffen, à la „Dieses Werk ist mehrfach ausgezeichnet, es wird also gut sein“.
Oder?
Für jemanden, der jedoch nicht Literatur studiert hat oder dem Geschmack der Kritiker eines gängigen Feullietons zu folgen pflegt, ist es mitunter schwer nachzuvollziehen, warum genau dieser Autor gewonnen hat. Viel schlimmer noch, man hat sogar das Gefühl, es werden viel zu häufig Werke ausgezeichnet, deren scheinbare Qualität in ihrer eigenen Unverständlichkeit liegt.
» 2014 wurde Bob Dylan ausgezeichnet. Ob seine Werke nun Literatur sind oder nicht, bleibt dahingestellt, aber es war ein Schritt in die richtige Richtung. «
Aber liegt nicht genau darin das Problem? Wie wäre es, wenn man etwas oder jemanden auszeichnet, dessen Werk verstanden werden, geschätzt und gerne gelesen werden kann? Und das nicht nur von Literaturprofessoren.
Literatur ist für alle, nicht nur für jene elitären älteren Männer mit langem Bart im Anzug, die sich den Preis manchmal sogar selber untereinander zuschustern.
Den Literaturnobelpreis also abschaffen? Nur in seiner heutigen Form!
Wir leben im 21 Jahrhundert, warum den Preis also nicht anpassen. 2014 wurde Bob Dylan ausgezeichnet. Ob seine Werke nun Literatur sind oder nicht, bleibt dahingestellt, aber es war ein Schritt in die richtige Richtung. Endlich wurde jemand geehrt, der tatsächlich bekannt ist und bei dem kein Studium nötig ist, um seine Werke zu verstehen.
Dass Literatur- Buch- oder Verlagspreise nicht nur Kopfschütteln hervorrufen („Kennst du den Autor?“; „Hast du sein Buch verstanden?“ „Das ist doch keine Literatur!“) zeigt der Deutsche Jugendliteraturpreis. Auf dessen Short List stehen tatsächlich Bücher, die von Jugendlichen gerne gelesen wurden. Aber auch andere Auszeichnungen wie etwa der Deutsche Buchpreis, den der Börsenverein jedes Jahr vergibt, oder der LiBeraturpreis zeigen, dass Preise, die tatsächlich die Meinung der Leser widerspiegelt, tragbar sind.
Natürlich soll der Preis ein besonderes Werk auszeichnen. Und besonders heißt auch, dass es mitunter nicht jeder verstehen kann. Aber Literatur und die dazugehörigen Preise gehören nicht der Elite, sondern uns allen.
Macht aus dem Literaturnobelpreis ein Kind des 21. Jahrhunderts. Damit wir – Kinder des 20. und 21. Jahrhunderts – ihn nicht nur kopfschüttelnd hinnehmen müssen!
Da wir uns im vorliegenden Beitrag zur Einleitung ein Stück Polemik erlaubt haben, sei an dieser Stelle noch ein kurzer #Faktencheck zum Thema Nobelpreis serviert:
Tatsächlich gibt es für den Nobelpreis keinerlei öffentliche Short-List. Stattdessen werden die Nominierungen unter strikter Geheimhaltung belassen und sind lediglich dem Komittee selbst bekannt.
Die breite Öffentlichkeit kann lediglich spektakulieren.
Des Weiteren möchten wir festhalten, dass 11 von 17 Preisträger_innen seit beginn des aktuellen Jahrtausends entweder nicht weiß, nicht männlich oder nicht europäisch gewesen sind.
#zum_Weiterlesen: Wir empfehlen, um sich einen Überblick über die aktuellen Vorgänge rund um den Literaturnobelpreis zu machen zunächst den Artikel Literaturnobelpreis wird ausgesetzt in der Süddeutschen Zeitung. Das Neueste vom Neuesten findet man anschließend hier und hier.
Für besonders Interessierte eignet sich der Insider-Bericht von Nobelpreiskomiteemitglied Per Wästberg oder die Auseinandersetzung des Deutschlandradio Kultur mit Sexismus im Literaturbetrieb im Allgemeinen.