In dieser und der kommenden Woche machen wir einen kleinen Exkurs in die Welt der Manga und Comics. Was bewegt sich dort? Wie sieht deren digitale Zukunft aus? Dazu haben wir auf der Leipziger Buchmesse 2015 ein Interview und ein Gespräch geführt. Wir haben uns mit Herrn Scharf von Tokyopop und Herrn Jachmann von Splitter getroffen und mit ihnen über die Messe, die Branche und die Entwicklung von Manga und Comic gesprochen.
Im ersten Teil lesen Sie das Gespräch mit Herrn Scharf (Director Sales & Marketing) von Tokyopop, in dem die Schwerpunkte auf dem Stand von Manga in Deutschland und deren digitalen Entwicklung liegen. In Teil zwei spricht er über Anime, die Leipziger Messe und die Kooperation Comic!. Da das Gespräch recht lang ist, wird es demnächst auch eine verkürzte Zusammenfassung beider Teile geben.
Wie ist der Stand von Manga in Deutschland im Allgemeinen und im digitalen Bereich?
Also Manga ist lange belächelt worden, dennoch bilden wir fast die gleichen Genres wie die Jugendliteratur ab, wir sind sogar noch breiter. Wir haben noch mehr Genres, die laufen, und Deutschland kapiert ganz langsam, dass an dem Boom keiner mehr vorbei kommt. Wir haben Wachstumsraten von bis zu 10 % jedes Jahr und das seit Jahren. Wir sind das einzige Genre im Buchhandel, welches im Moment so konstant wächst. Inzwischen wird verstanden, dass es nicht nur um Action, Brutalität und Sex geht. Es gibt ganz tolle Geschichten, hoch anspruchsvolle Manga, historisch-geschichtliche Sachen und extrem spannend. Plötzlich schreibt die Hannoversche Allgemeine Zeitung über Mangas. Zum Beispiel einen Artikel in dem es um die Katastrophe in Fukushima geht. Man stellt fest, hey, das ist nicht nur so ein bisschen Jugendkultur, das ist viel mehr, da haben wir es mit einer echten Kultur zu tun. Unsere Zielgruppe verändert sich ganz massiv und da kommen wir jetzt zur Rolle des Digitalen in Bezug auf Mangas. Die Urzielgruppe ist 13 bis 17 Jahre alt, die haben kein Tablet oder hatten das bisher nicht. Ein Smartphone hat der eine oder andere. Die digitalen Leser waren für uns nie die Zielgruppe. Nun hatten wir Ende Februar unseren Launch der E-Mangas. Was jetzt immer mehr kommt, ist die Generation 30+, weil die damit aufgewachsen sind. Die haben Dragon Ball und Sailor Moon geguckt und jetzt sind sie auch in den Läden. Es ist wirklich ein Paradigmenwechsel und unser Vorteil ist momentan noch, dass Manga in Deutschland ein Sammelobjekt ist. Das heißt, dass der Kunde oder der Leser in die Buchhandlung gehen will. Der will vor diesem tollen Regal stehen, will sich seine Bände nehmen und nach hause gehen. Die Zukunft klopft aber schon an die Tür.
Laut dem BDI ist Deutschland in der Gefahr bei der digitalen Revolution abgehängt zu werden und zwar industrieweit, nicht nur die Buchindustrie, sondern insgesamt. Aus unserer Sicht ist die diesjährige Buchmesse dafür schon symptomatisch. (lesen Sie dazu den Artikel vom 20.03.15)
Denn man möchte meinen, dass man hier eigentlich Neuheiten zeigen kann. Wie sehen Sie die Entwicklung der Branche?
Ich komme aus der Belletristik; ich habe Jahre Verschiedenstes gemacht, unter anderem Fachmedizin und Sachbuch. Jetzt bin ich bei Tokyopop. Ich habe zwei Mitarbeiterinnen, die Social Media bei uns machen. Die sitzen als erstes jeden Morgen zwei Stunden und beantworten Einsendungen. Allein das passiert in den meisten anderen Verlagen nicht. Wir haben natürlich eine spezielle Zielgruppe. Aber ich bin mit meinem Wechsel – und das ist gar nicht auf einzelne Verlage bezogen, es geht um die ganze Belletristik- gefühlt zehn Jahre nach vorne gegangen Ich finde uns als Branche wenig experimentierfreudig. Wie wird zum Beispiel Belletristik vermarktet? Man macht das Großflächenplakat am Bahnhof, man schaltet die Anzeige und setzt auf Presse und Veranstaltungen. Und das hat man vor zehn Jahren gemacht, vor fünf Jahren, das macht man heute noch so. Man versucht zwar immer neue Dinge, aber sich richtig mal etwas anderes trauen, was ganz Provokantes machen, das vermisse ich. Meiner Meinung nach haben die großen Verlage alle das Problem, dass sie keine bekannten Marken sind. Die Lesergruppe identifiziert sich nicht mit den Verlagen, sondern den Autoren und dem Inhalt. Und wenn ich Amazon habe, warum soll ich mich bei vielen verschiedenen Webshops informieren oder einkaufen? Denn bei Amazon habe ich gefühlt alles. Daher ist es für Verlage schwer, Kunden an sich und ihre Webshops zu binden.
Verlage der Zukunft ist genau aus diesem Grund gegründet worden, das aufzuzeigen. Man kann einen kompletten Verlag auch einfach digital machen. Bei uns liest man alles online. Wie sehen Sie die Zukunft des gedruckten Buches?
Ich glaube mehr denn je, dass das Buch bleiben wird.
Sonst wäre es bereits weg gewesen.
Vor allen Dingen, wie viele Leute mögen auf der Messe wegen Manga gewesen sein? 60-,70-, 80.000 schätze ich, wenn nicht mehr (Anm.: tatsächlich 93.000). Diese Zielgruppe geht in die Buchhandlung und kauft ihr Buch. Das ist die wertvollste Zielgruppe, die dieser Markt hat. Denn das sind die nachfolgenden Leser. Das ist auch etwas, das der Handel zum Teil nicht versteht. Es gibt ganz viele, die das toll machen, aber viele kapieren das nicht. Die Leute gehen in die Buchhandlung und kaufen Bücher. Hallo? Die packe ich mir und sage ihnen, hier ist Jugendbuch, hier ist Erwachsenenbuch. Die sind intelligent, die können lesen, die können mit Papier umgehen im Gegensatz zu vielen anderen. Da wird viel verschlafen. Auch der Handel ist für mich zum Teil Jahre hinterher.
Wie ist es denn um Manga in den Buchhandlungen bestellt?
Es ist natürlich so, dass Manga dort gut funktioniert, wo jemand ist, der sich darum kümmert. Manga ist nichts, was man einfach nur ins Regal stellt und dann läuft es. Es bedarf einer gewissen Regalpflege, die nicht schwer ist. Man muss Manga nicht lieben, aber man kann damit guten Umsatz machen. Ich als Buchhandlung würde den Aufwand sofort in Kauf nehmen, denn ich habe lauter 13 bis 17-jährige junge Frauen und Männer, die zu mir kommen. Die brauchen doch bloß an das Nachbarregal zu gehen. Wenn viele Verlage Bücher für Jugendliche machen, versuchen sie mit dem New Yorker zu kooperieren, und mit McDonalds, was es alles gibt. Wir haben die Zielgruppe im Laden. Und die wird eben in Zukunft auch elektronisch lesen, da bin ich mir ziemlich sicher. Da ist eine interessante neue Reihe, den ersten schaut man sich online an, cool, gefällt mir, und dann sammelt man ihn halt in Buchform.
Inzwischen wurde auch der Kindle in Japan eingeführt.
Wie sind die Mangas auf dem Kindle?
Die sind eher suboptimal. Wenn man einen künstlerischen Manga lesen will, ist das nichts. Die Mangaseite ist zu klein für den Kindle, deswegen wird sie in vier Panel aufgeteilt, die sich jeweils immer ein Stück überlappen. Das heißt, man wischt die dann weiter und hat dann den Ausschnitt in groß. Interessant ist, dass das japanische Amazon auch kostenlose Manga hat. Entweder als Promotion, Digitalisierungen, oder Self-Publishing Manga. Das ist sehr praktisch zum Einlesen, wenn die ersten drei Bände kostenlos sind und die nächsten 20 kosten dann 300 Yen, oder 400 Yen (umgerechnet 2,33€ und 3,11€). Wie entwickelt sich denn die Zielgruppe?
Es ist heute enorm wichtig, dass die Zielgruppe an die Buchhandlung herangeführt wird, es gibt auch fast keine treuere Zielgruppe. Wenn ein Mangafan einmal gemerkt hat, hier kriege ich meine Sachen und wenn es etwas nicht gab, ist es morgen da. Ich kenne Buchhändler in Hamburg, die kennen die alle mit Vornamen. Und die wollen auch nicht beraten werden, die wissen eh besser bescheid als der Händler. Die wollen wissen, ok, mein Regal ist da hinten. Dann gehen sie nach hinten und die Dinge sind da, die sie haben wollen. Uns wird der Schritt ins Digitale viel leichter fallen. Wir haben es bereits in Japan.
Die Produkte sind da, müssen nur übersetzt werden.
Aber das ist das kleinste Ding. Wir wissen relativ genau, wo es bei uns hingeht. Wir sind mit den E-Books jetzt natürlich rausgegangen, aber ich finde E-Book ist auch nicht unbedingt das ultimative digitale Produkt. Das ist noch nicht die Zukunft. Das ist nur ein anderes Buchmedium.
Die E-Books ersetzen vor allen Dingen, die Taschenbücher.
Für mich ist E-Book nichts anderes als eine andere Ausgabeform. Es ist keine digitale Revolution, die damit gestartet wurde. Spannend wird es dann, wenn es verknüpft wird, wenn man Animationen verwendet. Für uns ist es natürlich praktisch, dass alle Manga, die es in Deutschland gibt, auch als Anime vorhanden sind. Wir richten uns auch mit dem Lektorat unserer Manga meistens nach den Anime, weil in den Büchern manchmal die Dinge ein bisschen anders heißen. Wir haben diese Medien und die Frage ist jetzt nur, wie werden sie sich immer weiter verknüpfen? Das schöne ist, dass wir „Papa“ Japan haben. Wir können immer gucken, was dort grade passiert. OK, zwei, drei Jahre noch und dann ist es auch hier. Hier in der Halle 1 sind aus gutem Grund alle Medien, die man wirklich braucht in einer Ecke. Da haben wir Peppermint, Kazé, Nintendo. Wir arbeiten schon alle zusammen und wenn es nur auf der Marketing- Ebene ist. Wenn wir, zum Beispiel, mit einem bestimmten Spiel etwas zusammen machen. Es gibt die „Tales of …“ Reihe, Computerspiele, da gibt es die Manga dazu. Mit denen arbeiten wir sehr eng zusammen. Ich glaube natürlich, dass die Spielebranche vielleicht die Branche ist, an der wir uns alle orientieren sollten. Die sind uns Jahrzehnte voraus.
Die gehen nun dem Film schon Jahrzehnte voraus. Ich finde das sehr spannend, aber es passiert so wenig. Ich warte noch auf die großen Ideen. Im Zweifelsfall muss man es selber machen.
Es wird etwas kommen, also ich mache mir da überhaupt keine Sorgen. Wir waren mit unseren japanischen Gästen essen. Alles was sie einem gezeigt haben war digital. Es geht schon damit los, dass die Mangaka mal hier und da irgendetwas schnell zeichnen und das wird dann abfotografiert, geliked, geteilt. Wenn wir so weit sind, dass wir auch diesen Automatismus verinnerlicht haben, dann kommen auch die anderen Sachen, die Ideen und das Spannende. Davon bin ich fest überzeugt. Aber das Buch, das wir in Papierform verkaufen, ist nach wie vor relevant. Die großen Onlinehändler dieser Welt spielen für mich eine Rolle, natürlich, aber da sind die großen Buchhändler alle umsatzmäßig weit voraus. Wenn ich jetzt zu mir sagen würde, suche dir einen großen Kunden aus, der wegfallen kann, dann würde ich einen Online Händler wählen. Denn der Buchhandel macht bei uns den absoluten Löwenanteil aus.
Auch die Hardcover, die früher immer einen kleinen Anteil genommen haben, sind jetzt sehr groß und teuer geworden. Wenn man sich die Taschenbücher jetzt alle günstiger als E-Book kauft, hat man natürlich ein bisschen mehr Geld übrig und ist vielleicht auch bereit, für solche Titel dann mehr auszugeben. Bei den Comics ist es schon so, dass man sich entweder seine bestimmten Reihen und Autoren kauft, oder aber eben auch mal für die Special Interest Titel durchaus mehr Geld ausgibt.
Also wir merken das auch. Klassisch kostet ein Manga 6,50€/6,95€, wir nennen das den Taschengeldpreis. Für den Buchhandel ist es nicht leicht damit kostendeckend zu arbeiten. Wenn man bestimmte Sachen, wie zum Beispiel „Terra Formars“ was sehr gut läuft, in ein größeres Format überträgt und mit besonderer Ausstattung herausbringt, darf das dann auch 12, oder 13 Euro kosten. Es gibt dann auch noch die richtig besonderen Sachen. Das neue Artbook von Takeshi Obata (Anm.: Zeichner von Death Note) ist so eine. Es hat sechs verschiedene Papiersorten und Sechsfarbdruck. Da ist praktisch das Papier immer mit dem Bild abgestimmt .Wenn es, zum Beispiel, ein bisschen pastelliger ist, dann ist es schönes Strukturpapier, oder es ist perlmuttbeschichtet. Aber es gibt fast keine Druckerei, die das kann. Es ist wirklich hoch kompliziert. Die Japaner haben das schon öfter gemacht, aber in Deutschland gibt es genau eine Druckerei die das kann. Aber es geht mir um die Preisspanne. Es kostet 60 Euro und verkauft sich wie geschnitten Brot.
Es ist auch gerade für die, die selbst zeichnen und sich auskennen mit Papier. Das ist wirklich etwas ganz Besonderes, wenn man mal ein Artbook außerhalb der Norm in der Hand hat.
Eines der meistverkauften Mangabücher überhaupt ist seit Jahren das Artbook „The Legend of Zelda: Hyrule Historia“. Zelda ist meine Jugend, und das ist schon länger her, aber es ist nach wie vor eins der meistverkauften Bücher. Wir kommen mit dem drucken kaum hinterher. Das kaufen Leute, deren Hobby, vielleicht sogar Leidenschaft, das ist und die sind eben auch bereit mehr auszugeben. Wobei jetzt auch die Zielgruppe der 35-jährigen dazu kommt. Zelda wird jetzt auch viel aus Nostalgie gekauft. Aber da sieht man auch die Verbindung. Zelda ist durch das Computerspiel groß geworden, dann kam der Manga. Bei Assassin’s Creed ist es genauso abgelaufen. Der Manga wird durch das Computerspiel groß. Das sind ganz enge Verflechtungen. Da kommen wir nicht raus. Wir müssen das natürlich immer enger und enger verzahnen, bis wir es dann irgendwie auch zu einem Produkt verschmelzen, oder man eine perfekte Kooperation eingeht.
Das Gespräch führten Josephine Mitze und Marie-Therese Kirow
Autorinnen: Marie-Therese Kirow, Josephine Mitze