Donnerstag. Abend. Geschlossene Läden weit und breit. Du gehst eine Dir unbekannte Straße entlang. An der Ecke zur nächsten Straße erwartet es Dich. Leuchtend. Rot die Schrift. Du gehst durch die Tür. Alles ist düster. Ein Paar alte Sessel, ein Kicker, rote Wände und Metalmusik umgeben Dich. Vier Leute an der Bar starren Dich an. Keiner sagt etwas. Keiner lächelt. Du gehst zum Barmann und sprichst ihn an. Dir fällt auf, dass er in jedem Film die Rolle des irren Drahtziehers bekommen würde. Du findest ihn sympathisch. Er stellt Dir ein Getränk auf den Tresen, während Du ein paar Kinderbilder an der Wand betrachtest. Der Barmann deutet in den anliegenden Raum und Du gehst hinein …
Was Du jedoch nicht noch nicht weißt: Du wirst einen wundervollen, kulturellen Abend zusammen mit Menschen erleben, die gute Literatur zu schätzen wissen. Und das in einer Metalkneipe in Leipzig-Plagwitz.
So in etwa erging es mir, als ich mich für Euch zur Leseshow „Tanners Terrasse“ am 10.01.2013 aufmachte. Moderiert wurde die Show von Volly Tanner, der seine Gäste auf einer Bühne empfing, die von Gartenzwergen umzingelt wurde. Geladen waren Christopher Götze (Künstlername: Kryz) und Gunnar Schade. Wer sich fragt warum „Tanners Terasse“ gerade „Tanners Terrasse“ heißt, bekommt eine schnelle Antwort: Volly Tanner und sein Garten mit Terrasse = Name der Lesebühne. Ganz logisch also. Und die Frage warum Gartenzwerge um die Bühne herum stehen, hat sich damit auch erledigt.
Nach einer komödiantischen Einleitung Tanners trug Christopher Götze aus seinem Buch „Das Projektil und der Schwamm“ vor. Es geht um einen 13-jährigen Jungen, der zwar sehr nachdenklich ist, jedoch zu ein paar gewalttätigen Fehlern bereit war und aus diesem Grund eine Therapie, eine neue Stadt und eine neue Schule über sich ergehen lassen muss. In der Therapie verdonnert man ihn zum Tagebuchschreiben – nicht gerade was für coole Jungs. Der Autor entführte uns in zwei dieser Einträge und somit auch in das Innerste des Teenagers. Dabei geschah etwas Faszinierendes: aus dem anfangs eher ruhigeren Christopher Götze wurde auf einmal der rotzige Teenager, für den nur Respekt zählt und den angeblich niemand versteht, erst recht keine Lehrer oder Pädagogen, die eh viel lieber mit Gymnasiasten arbeiten. Götze spielte seine Rolle absolut glaubhaft. Sowohl Betonung, Sprachmelodie und die Worte selbst klangen wie ein 13-Jähriger, zu dem er mutierte. Schön zum Zuhören und angenehm mitzuverfolgen.
Leider kippten seine melancholisch-lyrischen Texte dazwischen etwas die Stimmung. Zwar hat er die richtige Stimme und Rhythmus für solche schwer zu betonenden Texte, doch diese bewusste Pause für das Gehirn wirkte sich eher bedrückend als erholsam aus.
Doch niemand kann behaupten es hätte am Humor gefehlt! An diesem Donnerstag wurde durch Gunnar Schade mal wieder so richtig befreiend über politische und kulturelle Paradoxien gelacht. Der Mann aus Berlin sorgte mit seinen kurzen Texten über Altersarmut, Gleichberechtigung von Frau und Mann, Bildung, Fernsehen und Terrorismus in Deutschland für einen Lacher nach dem anderen. Makaber, überspitzt und durch und durch satirisch werden die Themen durch den Kakao gezogen und an jeder Ecke winkt ein Zaunpfahl in Richtung Realität. Herrlich.
Und, ist „Tanners Terrasse“ empfehlenswert? Auf jeden Fall!
Empfohlen sei es jedem, der den Menschen unvoreingenommen gegenüber steht und sich vor allem eine gute Stimmung unter den anderen Hörern wünscht. Vielleicht verlaufen sich ja sogar ein paar VdZu-Leser zur nächsten Veranstaltung am 14.02.2013. Es werden dann zwei Vertreter des weiblichen Geschlechtes zu Gast auf „Tanners Terrasse“ im Helheim sein.
von Marie Erdmann