Nach dem Bekanntwerden der Pläne des WDRs, dass Literaturbesprechungen künftig weniger Sendeplatz erhalten sollen, ging ein Aufschrei durch die Buchbranche, Petitionen wurden gestartet, hitzige Diskussionen geführt. Dabei sei die Größe des Publikums etwaiger Sendungen sinkend.
Doch abseits der konventionellen Vermittlung hat sich eine andere Art der Buchvorstellung entwickelt, für eine scheinbar schwindende Zielgruppe: Jugendliche. Auf der Videoplattform YouTube stellen Menschen Publikationen vor, wobei diese Formate wachsenden Zuspruch erhalten. Das Potential haben auch Verlage erkannt und kooperieren nun gemeinsam mit den sogenannten BooktuberInnen. Doch inwiefern ist deren Zusammenarbeit mit Jugendbuchverlagen geeignet?
Definition „Booktuber“
Der Begriff Booktuber setzt sich aus den Worten „book“ (englisch: Buch) und „YouTuber“ zusammen. Es handelt sich dabei um Personen, die Bücher auf YouTube, einer 2005 gegründeten Videoplattform, einem Publikum vorstellen, bewerten und gegenseitig empfehlen. Daneben werden auch andere Videoformate auf das Medium Buch abgestimmt – darunter z.B. Buch-Käufe.
Für BooktuberInnen steht die Literaturkritik als solche nicht im Vordergrund. Ihnen ist vielmehr die Authentizität wichtig, sowohl bei der Vorstellung des Buches als auch bei ihrem virtuellen Auftreten. Sie fungieren als Multiplikatoren der Verlage und dessen Neuerscheinungen, wobei sie Informationen von den entsprechenden Verlagen erhalten, um einen fundierten Eindruck zu vermitteln. Das Durchschnittsalter der Rezensions-ZuschauerInnen liegt dabei zwischen 13 und 19 Jahren, wodurch die Zusammenarbeit von Jugendbuchverlagen mit den Vorstellenden äußerst attraktiv erscheint.
Kommunikation zwischen Verlagen und BooktuberInnen
Die Grundlage der Präsentation von Büchern durch BooktuberInnen sind Rezensionsexemplare. Dabei handelt es sich um entsprechende Neuerscheinungen der Verlage, welche die Aufmerksamkeit potentieller KundInnen erregen sollen. Diese „Vorausexemplare“ dürfen nicht an Dritte verkauft bzw. für andere Zwecke als für die Besprechung benutzt werden.
Einerseits kann sich der Verlag selbst an diejenigen Personen wenden, bei denen er sich durch eine Kooperation Erfolg erhofft. Der Jugendbuchverlag Carlsen beispielsweise wählt bestimmte Plattformen aus und arbeitet mit ausgewählten Personen zusammen, den sogenannten Carlsen-BotschafterInnen. Auf YouTube wird Carlsen von Lea Kaib vertreten, welche auf ihrem Kanal „liberiarium“ einmal monatlich die Neuerscheinungen des Verlags vorstellt und dafür von ihm vergütet wird.
Andererseits ist es möglich, als RezensentIn die Verlage zu kontaktieren und ein Rezensionsexemplar anzufordern. Für die Zusammenarbeit müssen BloggerInnen bestimmte Voraussetzungen erfüllen, um Leseexemplare zu erhalten. Im Falle Carlsen sollte der Kanal regelmäßig betrieben werden und länger als ein Jahr bestehen. Außerdem wünscht sich der Verlag eine Verbreitung der Vorstellung auf verschiedenen Social Media- Plattformen und Internetshops. Sofern ein Beurteiler/ eine Beurteilerin nur einen Kanal innehat, benötigt dieser eine Mindestreichweite von 3000 Abonnenten.
Chancen und Risiken der Zusammenarbeit
Durch die Zusammenarbeit mit BooktuberInnen erhoffen sich Verlage eine höhere Sichtbarkeit. Dabei sind die Aussichten auf YouTube vielversprechend, ist die Plattform mit rund 2,3 Milliarden AnwenderInnen weltweit die am zweithäufigsten genutzte.
Die RezensentInnen weisen eine Art Sortimentsfunktion auf: Durch die Präsentation der Neuerscheinungen, bringen sie die Bücher in eine ordnende Umgebung. BooktuberInnen agieren als Testimonials, durch deren positive Äußerungen soll die Integrität der Publikation erhöht werden. Laut Huse, Professor des Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule der Medien in Stuttgart, spielen „Authentizität und Glaubwürdigkeit“ eine wichtige Rolle im Social Media-Marketing, da sie die Verkaufsabsicht tarnen und die Aufmerksamkeit auf das Produkt selbst lenken, wodurch eine Absatzsteigerung hervorgerufen werde. Diese Form des Empfehlungsmarketings trage zur Erhöhung der Markenbekanntheit sowie zur Förderung der Kommunikation zwischen KundInnen und Verlagen bei.
Dies scheint Wirkung zu zeigen: Laut einer Umfrage des Vergleichsportals „idealo“ gaben weniger als ein Viertel an, dass eine Produktvorstellung nie einen Einfluss auf ihre Kaufentscheidung hat. Im Gegensatz dazu führten insgesamt 66 Prozent an, dass Videos dieser Art gelegentlich oder zumindest selten ihr Kaufinteresse prägen.
Zudem ist die Medienform Video für sich selbst sehr präsent für den Zuschauer/ die Zuschauerin, da es für denjenigen kaum möglich ist, zeitgleich anderen Aktivitäten nachzugehen und dem Inhalt somit ungeteilte Aufmerksamkeit zuteilwird.
Des Weiteren ist der persönliche Austausch zwischen BooktuberInnen und deren ZuschauerInnen möglich, da die Abonnentenzahl derartiger Kanäle vergleichsweise niedrig ist. Dies unterstützt die Authentizität und Verbundenheit der BeurteilerInnen in der Wahrnehmung der AbonnentInnen.
Dahingegen können die eher niedrigen Klickzahlen auch als Nachteil erachtet werden, da der Verlag eine kleinere Reichweite bewirkt als beispielsweise eine Werbekampagne in großen Buchhandlungen bzw. den führenden Buchhandelsketten. Dabei ist fraglich, ob die Ansprache der Jugendlichen im stationären Handel noch erfolgreich ist, schließlich führt die zunehmende Medienkonkurrenz durch Streamingdienste etc. zu einem Leserschwund, besonders in der Altersgruppe von Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Außerdem erzwingt die aktuelle Pandemiesituation, in der zeitweise bundesweit alle Buchhandlungen geschlossen wurden, eine Fokussierung auf das Online-Marketing, sodass BooktuberInnen durch deren Empfehlungen u.a. den Online- und Direktvertrieb fördern können.
YouTube ermöglicht Verlagen junge Menschen auf einer für diese Zielgruppe beliebte Plattform anzusprechen und erlaubt gleichzeitig eine genaue Analyse der Daten durch YouTube Analytics bezüglich Herkunft, Geschlecht sowie den Weg des Zuschauers/ der Zuschauerin, durch den er oder sie auf das Video gestoßen ist, z.B. durch die gezielte Suche oder eine Werbeanzeige. Sofern die KanalbetreiberInnen den Verlagen also Zugang zu Kanal-Daten gestatten, können jene ihr Marketing optimieren – wobei der Erfolg des YouTube-Auftritts in beider Seiten Interesse sein dürfte.
Einerseits gibt der Verlag, wie bereits beschrieben, bestimmte Voraussetzungen für die Zusammenarbeit mit JugendbuchbloggerInnen vor, andererseits hat er nur bedingt Einfluss auf den Inhalt der Vorstellung: Zwar können beispielsweise KooperationspartnerInnen Anforderungen an die Präsentationsweise stellen, die endgültige Realisation liegt allerdings bei den BloggerInnen selbst.
Oftmals kritisiert wird dabei die fehlende Kategorisierung, die Besprechung der präsentierten Bücher sei subjektiv und oberflächlich im Vergleich zu konventionellen Literaturkritiken. Allerdings muss beachtet werden, dass die Zielgruppe der BooktuberInnen eine vollkommen andere ist. Zudem besteht der Anspruch einer solchen Literaturvermittlung seitens der BloggerInnen nicht: Das Auftreten sei Teil des Konzepts solcher Videos, wobei die bewusste Amateurhaftigkeit Teil des Konzepts ist.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Zusammenarbeit von Jugendbuchverlagen mit BooktuberInnen äußerst reizvoll ist.
Die Kooperation erfüllt das versteckte Ziel des Verlags: Ab- und Umsatzsteigerung. Hilke Schenck, Verantwortliche für das Markenprogramm von Carlsen, bestätigt die Erhöhung der Sichtbarkeit von Titeln aus dem Romantik- und Fantasybereich, welche durch die übliche Besprechung nicht in diesem Umfang erfolgreich gewesen wäre.
Auch nach anfänglicher Kritik an fehlendem Niveau der Vorstellungen, bewahrheitet sich diese Art der Einschätzung als wahre Bereicherung für die Öffentlichkeitsarbeit. Schenck belegt, dass der Absatz von Titeln wie „Obsidian“ von Jennifer Armentrout durch die Vermarktung in Social Media-Plattformen gesteigert wurde.
Zukünftig bleibt trotzdem zu beachten, inwiefern man Jugendliche in ihrer Mediennutzung noch durch Printmedien beeinflussen kann. Es gilt Trends aufzugreifen und die richtigen Inhalte zu akquirieren. Die aktuelle Tendenz geht in Richtung YouTube, kann sich aber genauso schnell zu einer anderen, eventuell bisher unbekannten Nutzungsplattform umwandeln.
Auch die steigende Zahl an BloggerInnen bzw. BooktuberInnen bedarf der Berücksichtigung durch die Verlage, da einzelne Titel in der Fülle von Videos sichtbar gemacht werden müssen. Deshalb ist es ratsam für den Verlag, gezielt Personen für die YouTube-Präsenz auszuwählen, wie im Beispiel Lea Kaib als Carlsen-Botschafterin, um nicht unzählige Rezensionsexemplare versenden zu müssen und dadurch unplatziertes, unübersichtliches Marketing zu betreiben.
Autorin: Michaela Gerland
Textquellen
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Bildquellen
Beitragsbild von Zen Chung von Pexels. Online verfügbar unter https://www.pexels.com/de-de/foto/frohliche-gemischtrassige-freundinnen-mit-arbeitsmappe-die-beim-lernen-in-der-nahe-der-wand-interagieren-5537553/.
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