Verlage der Zukunft deckt auf: Die größten Klischees des Selfpublishings und was wirklich dahintersteckt

Autorin: Smilla Felgemacher

Lesezeit: ca. 20 min

 

„Selfpublishing-Bücher haben es verdient, mehr gesehen zu werden.“ – Saskia Louis

 

Selfpublishing ist wohl der Trend, der vor allem in den letzten fünf bis acht Jahren ordentlich Schwung in die Verlagsbranche und in das Veröffentlichen von Büchern allgemein gebracht hat. Mit der erfolgreichen Selfpublishing Autorin Saskia Louis sprechen wir über die Entwicklung des Selfpublishings, dessen Einfluss auf die Buch- und Verlagsbranche und lüften die Geheimnisse hinter den größten Klischees, die sich zum Thema Selfpublishing in den Köpfen der Menschen festgesetzt haben.

Vor zehn Jahren noch recht unbekannt, ist Selfpublishing heute ein Geschäftsmodell, das sich in der Buchbranche ebenso fest etabliert hat wie das Veröffentlichen bei großen Verlagen. Autor:innen, die ihre Bücher komplett selbstständig schreiben, bearbeiten und veröffentlichen sind auf dem weltweiten Buchmarkt längst keine Seltenheit mehr. Vor allem im Bereich der E-Books haben die Selfpublishing-Autor:innen in den letzten Jahren immer mehr Anteile für sich gewinnen können.

Doch mit dem neuen Trend kamen damals auch einige Vorurteile der Verlagsbranche gegenüber dem Selfpublishing auf, die teilweise auch bis heute noch bestehen.

Um zu zeigen, dass die Selfpublishingbranche in den letzten Jahren aber eine gewaltige Entwicklung hin zur Professionalität gemacht hat, die es durchaus mit den etablierten Verlagsbüchern aufnehmen kann, haben wir uns eine der erfolgreichsten deutschen Selfpublishing-Autor:innen ins Boot geholt.

Saskia Louis, Autorin für High-Fantasy-Romane, Cosy-Crime und Liebesromane mit humoristischer Note, veröffentlicht bereits seit 2018 sehr erfolgreich ihre Bücher in Eigenregie. Insgesamt sind bereits 42 Bücher von ihr erschienen – davon über die Hälfte im Selfpublishing. Wir waren neugierig und haben nachgefragt, warum sie den (damals noch) recht unkonventionellen Weg des Selfpublishings gewählt hat.

 

Warum hast du dich fürs Selfpublishing entschieden?

„Es gab verschiedene Gründe, aber die zwei größten waren tatsächlich, dass ich schlichtweg wissen wollte, ob ich es erfolgreich könnte – und weil man im Selfpublishing sehr viel mehr Geld verdient. Bei Verlagen, vor allen Publikumsverlagen, kriegt man meistens nur zwischen 5 und 10 Prozent des Nettoerlöses. Beim Selfpublishing sind es bis zu 70 Prozent. Das ist ein riesengroßer Unterschied.“

Aber das Geld ist natürlich nicht der einzige Anreiz für Autor:innen, auf die Unterstützung eines Verlages zu verzichten. Es ist vor allem auch die Herausforderung, sich selbst in den verschiedensten Bereichen des Veröffentlichungsprozesses auszuprobieren und „am Ende des Selfpublishings ein Produkt in den Händen zu halten, das zu 100 Prozent einem selbst gehört“, so Saskia Louis. Die Freiheit, die man sich selbst durch das Selfpublishing schafft, ist ein weiterer Faktor, der den Selbstverlag für Autor:innen so attraktiv macht. Daher unsere Frage:

 

Was gefällt dir am Selfpublishing so besonders, was gefällt dir nicht so? Was würdest du gerne ändern, wenn du es könntest?

„Ich treffe jede Entscheidung selbst. Ich bestimme, worüber ich schreiben will, wie genau der Plot aussieht, wie lang das Buch wird und wann es erscheint. Verlage haben oft interne Vorgaben für Genre, Länge usw. und greifen vorab in Idee und Plot ein – und der gesamte Prozess ist sehr viel langsamer und mit einer Menge Warten verbunden. Beim SP hingegen hängt es davon ab, wie schnell ich selbst bin. Ich suche mir das Cover aus, schreibe den Klappentext, mache den Buchsatz, das Marketing, entscheide über den Preis … es ist super viel Verantwortung, aber dafür ist das Buch am Ende wirklich genau die Version, die ich wollte. Und das macht mich jedes Mal wieder unglaublich stolz.“

Weiterhin gibt Louis zu bedenken:

„Witzigerweise ist das aber natürlich gleichzeitig das, was SP so viel anstrengender macht, als über einen Verlag zu veröffentlichen. Der Zeitaufwand ist einfach doppelt so hoch, ebenso wie der Stresslevel – und am Ende wird man meistens auch noch weniger ernst genommen als Verlagsautor:innen. Das ist teilweise etwas frustrierend.

Und natürlich ist es als Selfpublisher:in sehr viel schwieriger in den Buchhandel zu kommen. Selfpublishing ist immer noch ein E-Book-Game. Es gibt auch einige Selfpublishing-Bücher, die es wirklich in den stationären Buchhandel geschafft haben, aber das sind zurzeit noch die Ausnahmen. Was ich sehr gern ändern würde, wenn ich könnte. Denn Selfpublishing-Bücher haben es verdient, mehr gesehen zu werden!“

Der stationäre Buchhandel als „Gamechanger“ für den Erfolg von (Selfpublishing-) Autor:innen? Der größte Vorteil im Selfpublishing, ist, so Louis, gleichzeitig auch der größte Nachteil. Die volle Verantwortung liegt bei den Autor:innen selbst. Gerade zu Beginn einer Karriere im Selfpublishing kann die fehlende Kenntnis und Expertise der Buchbranche und der Besonderheiten des Handels ein Nachteil sein.

 

Welche Vorteile/Nachteile siehst du beim Selfpublishing gegenüber dem Veröffentlichen beim Verlag?

„Wie schon gesagt hat man die komplette Verantwortung für und die Entscheidungsgewalt über sein Buch. Das zerrt an den Nerven und ich muss beim Veröffentlichen viel mehr Unsicherheiten überwinden, als wenn ich den Verlagsweg gehe. Dort ist es einfach schön, jemanden zu haben, der einen den Rücken stärkt. Der weiß, welche Cover gerade funktionieren und welcher Klappentext sich besser verkauft. Ein Verlag hat insgesamt ganz andere Marketingmöglichkeiten als man selbst als Einzelperson. Andererseits hat man hier natürlich nicht so viel Mitspracherecht. Meistens wird man schon intensiv in den Entscheidungsprozess miteingeschlossen, aber der Verlag hat letztendlich ein Veto-Recht.

Allerdings ist die Bezahlung im SP nun einmal um einiges besser als beim Verlag. Der ganze Aufwand lohnt sich am Ende also.“

Dennoch – oder gerade deswegen – ist Saskia Louis der Meinung, dass das Selfpublishing vor allem für junge Autor:innen und auch Debütant.innen viele Möglichkeiten bietet, einen guten Einstieg in die Branche zu finden.

 

Welches Potential siehst du vielleicht gerade für Debütant:innen oder junge Autor:innen im Selfpublishing?

„Ich glaube, dass man im Selfpublishing unfassbar viel lernen und sich weiterentwickeln kann. Einerseits persönlich, andererseits was seinen Stil/seine Art zu schreiben betrifft. Selfpublishing gibt sehr viel Raum und Freiheit dafür, einfach zu schreiben, was man schreiben möchte und nicht durch tausend Reifen springen muss, um sein Buch in den Händen zu halten – was gerade zu seinen Schreibanfängen doch eigentlich sein Ziel ist, oder? Genau die Geschichte zu erzählen, die man erzählen wollte. Durch Selfpublishing hat jeder die Chance, sein Buch zu veröffentlichen. Die Chance, Leute zu begeistern. Und das sehr viel schneller als auf dem Verlagsweg. Dort muss man nämlich meistens mit ein bis zwei Jahren Wartezeit rechnen. Also, wenn man von der eiligen Sorte ist und jetzt sofort mit genau seiner bestimmten Idee loslegen will, ist Selfpublishing ein schönerer Weg.“

Trotzdem räumt sie aufgrund ihrer Erfahrung ein, dass „Selfpublishing letztendlich Typensache ist“ und der Weg zur Veröffentlichung über den Verlag genauso gut funktionieren kann.

„Wenn man von Anfang an weiß, dass man nicht die Zeit oder Muße hat, sich in alles einzuarbeiten (Marketing, Buchsatz, wie finde ich eine gute Coverdesigner*in/Lektor*in usw.) außerdem in Vorkasse zu gehen, weil man die Arbeit am Buch natürlich selbst zahlen muss, dann ist es auch überhaupt nicht schlimm zu sagen: Hey, ich gehe lieber zum Verlag. Der kann mir helfen.“

Doch gerade die Verlagsbranche scheint die Partei zu sein, die sich nicht nur vor einigen Jahren – als das Selfpublishing ein aufstrebender Stern am Veröffentlichungshimmel war – sondern auch heute noch mit vorschnellen und zum Teil flapsigen Äußerungen über die Autor:innen und deren Projekte im Selfpublishing bei der Community unbeliebt macht.

Gerade in den Anfängen war Selfpublishing vor allem unter den „Verlagsmenschen“ sehr verpönt. Wir wollten daher wissen:

 

Mit welchen Klischees, die das SP betreffen und sich auch heute noch hartnäckig halten, würdest du gerne aufräumen wollen?

„Also das, was mich am meisten aufregt: Selfpublishing-Bücher seien qualitativ minderwertiger als Verlagsbücher. Das ist meiner Meinung nach großer Schwachsinn. Wie oft ich mir schon anhören musste, dass ich ja keine „richtigen Bücher“ schreibe, weil ich sie selbst veröffentliche, ist unheilig. Klar, dadurch, dass theoretisch jeder sein Buch einfach auf den Markt werfen kann, gibt es bestimmt auch Werke mit Covern und Inhalten, die furchtbar sind. Aber seien wir ehrlich: Die gibt es bei Verlagen auch. Meine Selfpublishing-Bücher durchlaufen exakt denselben Prozess wie die Bücher, die ich bei Verlagen veröffentliche. Nur das ich alles überblicke und kein Verlag.

Das Zweite, was mich nervt, ist, wenn Leute behaupten, Autor:innen, die ihr Buch selbst veröffentlichen, machen das nur, weil sie bei keinem Verlag genommen wurden. Das könnte mittlerweile falscher nicht sein. Ich zum Beispiel treffe bei jedem Werk bewusst die Entscheidung, ob es sich besser fürs Selfpublishing oder für den Verlag eignet. Viele von meinen Kolleg:innen entscheiden sich sogar bewusst dagegen, jemals bei einem Verlag unter Vertrag zu gehen, weil sie das Gefühl haben, dass er ihrem Werk nicht gerecht werden würde.

Und das letzte Klischee, das ich tatsächlich am meisten höre, ist, dass man mit Selfpublishing ja kein Geld verdienen kann. Das ist ebenfalls nicht wahr. Bei mir ist das Gegenteil der Fall. Ohne meine Selfpublishingbücher könnte ich nicht hauptberuflich schreiben. 70 Prozent meiner Einnahmen stammen aus dem Selfpublishing, obwohl ich mehr Bücher beim Verlag herausgebracht habe.

Es ist auf jeden Fall hart als Autor:in, keine Frage. Egal, ob bei Verlag oder im Selfpublishing. Es gehört jahrelange harte Arbeit und sicherlich auch eine Portion Glück dazu, sich als Autor:in zu etablieren und sein Hobby zum Beruf zu machen. Aber letztendlich kenne ich sehr viel mehr Selfpublisher:innen, die von ihrem Verdienst leben können, als Verlagsautor:innen.“

Teilweise recht harte Worte, die aber präzise auf den Punkt bringen, welche Gedanken noch immer die Verlagsbranche in Bezug auf Selfpublishing herrschen. Hinzu kommt, dass der Weg des Selfpublishings zumeist von großen Verlagen noch deutlich unterschätzt wird. Auch hier haben wir Saskia Louis nach einer Einschätzung gefragt, da sie sowohl als Verlagsautorin wie auch als Selfpublisherin beide Seiten der Branche sehr gut kennt.

 

Warum wird deiner Meinung nach SP von vielen Verlagen noch so stark unterschätzt und nicht als „ernsthafte Konkurrenz“ wahrgenommen?

„Ich glaube, das liegt größtenteils daran, dass Selfpublishing den stationären Buchhandel noch nicht erschlossen hat. Da Verlage sich auf den Verkauf von Hardcover und Taschenbuch konzentrieren und Selfpublisher:innen vor allem den E-Book-Markt in Angriff nehmen, kommt man sich noch nicht wirklich in die Quere.“

 

Hat sich diese Ansicht deiner Meinung nach geändert und wenn ja, wodurch?

„Ich glaube schon, dass da in den letzten Jahren eine deutliche Entwicklung stattfand. Das liegt meiner Meinung nach daran, dass einige Selfpublisher:innen einfach so erfolgreich wurden, dass selbst ein Großverlag sie nicht mehr ignorieren konnte (wie zum Beispiel Poppy J. Anderson oder aber Marah Woolf). Außerdem glaube ich, dass gerade in den letzten fünf Jahren das Selfpublishing enorm gewachsen ist und einen professionellen Sprung gemacht hat. Das Image vom Selfpublishing wurde einfach etwas aufpoliert, weil es immer mehr erfolgreiche Bücher hervorgebracht hat (und in den USA beispielweise auch viele bisherige Verlagsautor:innen vom Verlag ins Selfpublishing gewechselt sind).

Jetzt hat man nicht mehr unbedingt das Buch im Kopf, dessen Cover der Autor selbst mit Bleistift gemalt und unlektoriert in die Welt hinausgeschickt hat. Viel eher ist klar geworden, dass es eine Menge Autor:innen gibt, die erfolgreich im Selfpublishing veröffentlichen, Millionen von Leser:innen gewinnen und sich eine Marke aufbauen konnten. Hinzukommt: Je stärker sich der E-Book-Markt entwickelt, desto größer wird auch die … ich sag jetzt mal Selfpublishing-Macht. Publikumsverlage richten ihr Marketing nun einmal vor allem auf Taschenbücher und Hardcover aus, während Selfpublishing sich vor allem durch E-Book-Verkäufe definiert.“

Selfpublishing steht, genau wie die Verlagsbranche selbst, permanent unter dem Einfluss der Leser:innen und den Entwicklungen am Markt. Hierzu sagt Louis:

„Dennoch glaube ich, dass wir noch nicht am Ende der Entwicklung angekommen sind. Meiner Erfahrung nach ist es furchtbar unterschiedlich, ob ein Verlag respektiert, dass man bereits Erfolg im Selfpublishing hat und eine Leserschaft mitbringt – oder gestandene Selfpublishing-Autor:innen behandelt, als wären sie noch Küken, die keine Ahnung von nichts haben. Allerdings denke ich, dass der letzte Schritt nicht im Verlag stattfinden muss – sondern bei den Leser:innen, die zu dem Schluss kommen, dass Selfpublishing-Bücher genauso qualitativ hochwertig sind wie Verlagswerke. Die Macht liegt letztendlich immer beim Käufer.“

Vergangene Aussagen und Entwicklungen mal bei Seite geschoben, wollten wir gemeinsam einen Blick in die Zukunft werfen, zu der es bereits einige Thesen gibt, die auch in den nächsten Jahren kontrovers diskutiert und scharf kritisiert werden könnten – gerade von den Verlagen der Branche selbst. Doch auch hierzu hat Saskia Louis eine klare Meinung:

 

Was hältst du von der These, dass SP die Verlagsbranche stark einengen oder sogar verdrängen/ersetzen könnte?

„Ich glaube nicht, dass es so weit kommen wird. Ich kann mir schon vorstellen, dass Selfpublishing- und Verlagsbücher irgendwann denselben Stellenwert einnehmen, beide im Buchhandel zu finden sein werden und das Schreiben im Selbstverlag nicht mehr belächelt wird. Eine leichte Veränderung dessen zeichnet sich jetzt schon ab. Aber es wird sich nie ändern, dass es Autor:innen gibt, die lieber die Verantwortung abgeben und sich allein aufs Schreiben konzentrieren wollen. Ein Buch selbst rauszubringen, ist und bleibt anstrengender als den Verlagsweg zu gehen. Es ist einfach eine größere Herausforderung, weil einem keine direkte Hilfe zur Seite steht. Ein wenig verdrängt werden könnte die Verlagsbranche natürlich schon durch den steigenden Erfolg des Selfpublishing – aber doch niemals ersetzt.“

Dass das Selfpublishing niemals gänzlich die konventionellen Verlage ersetzen wird, ist eine These, der wir uns als angehende Buch- und Medienproduzenten natürlich sehr gerne anschließen.

Gleichwohl fällt unsere Prognose etwas kritischer aus: Das Konkurrenzverhältnis zwischen Verlag und Selfpublishing wird auch in den kommenden Jahren zunächst bestehen bleiben. Dennoch hoffen wir, dass der kleine Einblick, den wir dank Saskia Louis‘ Expertise bekommen haben, ein Schritt in jene Richtung ist, die an den festgefahrenen Klischees rüttelt und vielleicht auch dem ein oder anderen „Verlagsmenschen“ die Augen öffnet.

 

Wenn ihr mehr über Saskia Louis und ihre Bücher erfahren wollt, dann schaut auf ihrer Website vorbei oder besucht sie auf Instagram @SaskiaLouis

 

 

 

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