Schleiz, 1870. Konrad Duden ist Direktor des Städtischen Gymnasiums, der Lehrkörper besteht ob der geographischen Lage aus Franken, Sachsen und Thüringern, die Schüler sind empört:
Je nach Herkunft der Prüfer werden ihre Arbeiten mal mehr und mal weniger gut bewertet, denn sowohl sprachliche als auch orthographische Richtigkeit unterliegen den Ansichten der Pädagogen. Konrad Duden, bis zu seinem 76. Lebensjahr Lehrer mit Leib und Seele, Lehrplanrefomer, Sozialarbeiter, Ideengeber des heutigen Volkshochschulsystems und Förderer der heute als bildungsfern bezeichneten Schichten setzt sich an seinen Schreibtisch und macht sich Gedanken. Diese fügt er 1872 erstmals zur Schrift „Die Deutsche Rechtschreibung“ zusammen, wird als Experte zur Orthographischen Konferenz nach Berlin geladen und gibt 1880 nach verschiedenen Beratungen in nationalen Gremien das sortierte Regelwerk unter seinem Namen heraus.
Im Jahr 1880 kostete ein Duden 1 Mark – in ihm sind auf 187 Seiten 127.000 Wörter sowie einige Regularien zur Vereinheitlichung der Schreibweise regional sehr unterschiedlicher Begriffe gesammelt. Das Vollständige Orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache, der Urduden, war geboren und verbreitete sich in einem Neuauflagenrhythmus von etwa 5 Jahren im gesamten Kaiserreich. Eine Goldgrube. Als der Duden schließlich auch noch bindend für die Schweiz wird, kommen diverse Nachschlagewerke zum Programm, werden ab 1954 ein Ost- und ein Westduden herausgegeben, sind verschiedene Verlage für die redaktionelle Überarbeitung des Regelwerkes verantwortlich und schließlich erscheint der „Einheitsduden“ – 1991 vereint auch die Geschicke der nationalen Rechtschreibung unter dem Dach der Bibliographisches Institut GmbH in Mannheim.
Ein erster herber Schlag für die Inhaber des sogenannten Dudenmonopols war die Rechtschreibreform von 1996, die zum einen verschiedene Schreibweisen und zum anderen verschiedene Ausgaben legitimierte: nicht der Duden selbst ist das Regelwerk und bestimmt die Regeln, er enthält sie nur. Die Folge waren neben ersten Verwirrungen seitens Richtigschreibwilliger auch Ausgaben anderer Verlage wie das Wahrig-Rechtschreibwörterbuch. Der Duden verändert sich, um der neuen Konkurrenz standhalten zu können: Wort- und Unwort des Jahres werden gekührt, 3.000 Aktualisierungen wie die Regenbogenfamilie, die Abwrackprämie, der Best Ager, das Lifestylemagazin, und der Publikumsjoker werden aufgenommen, auch twittern und fremdschämen haben jetzt ihren Platz. In Infokästen gibt es zusätzliche Erklärungen und redaktionelle Empfehlungen sollen helfen, das neoliberale Rechtschreibwirrwarr aufzulösen. Nach der eVersion von 2004 gibt es mittlerweile auch die Duden App – für sage und schreibe 29,99€.
Damit zum Problem des Dudenverlages: Heute benötigt man verlässliche Angaben zur Rechtschreibung vor allem am Computer, dem Hauptsarbeitsplatz für Schriftverkehr. Die Reformschübe der letzen Jahre sowie die stetig gewachsene Verbreitung von Internetzugängen sprechen hier gegen die Nutzung des Buches als Nachschlagewerk: wie aktuell ist die aktuelle Ausgabe im Regal und wie viel schneller ist ein Wort getippt als erblättert. Eine App machte nun so lange Sinn, wie das mobile Internet nur wenig da nur sehr teure Verbreitung hatte – seit knapp einem halben Jahr passé. Wer Apps nutzt, nutzt mobiles Netz, wer online ist, kann (mittlerweile endlich auch) den Duden oder andere Nachschlagewerke nutzen: kostenlos. Zudem liegt die Autorität der Rechtschreibung inzwischen beim Rechtschreibrat und jedem einzelnen: nie war die orthographische Schöpfungskraft größer, nie wurde mehr neologismiert als heute, nie wurde schlicht mehr geschrieben als heute – die zeitgenössische Form des Wörterbuches heißt Wiktionary und funktioniert wie der Name schon andeutet: kollaborativ, dynamisch, „demokratisch“. Der Duden hat scheinbar ausgedient. Sich dem Netz zu spät geöffnet, den Verlust der eigenen, tatsächlich jahrzehntelang unangefochtenen Gatekeeperfunktion erst nicht bemerkt, dann nicht verwunden, schließlich nie angemessen reagiert. Im Interview mit Deutschlandradio Kultur beantwortet Duden-Chefredakteur Scholze-Stubenrecht die Frage „wie verdienen Sie in Zukunft ihr Geld“ mit einer freundlichen Ausflucht: man hätte ja auch viele andere Titel im Programm, für die man mit der Website zum kostenlosen Wörterbuch genügend Reichweite zu schaffen hofft. Funktionierende Geschäftsmodelle sehen anders aus.
Konrad Duden hätte seine helle Freude an den Entwicklungen, die das Internet ermöglicht hat – sein innigster Wunsch, Bildungsmöglichkeit ohne Ansehen des Geldbeutels, ist Dank des Social Web heute greifbarer denn je. Für den Dudenverlag allerdings hat es eine Ära beendet und kristallinen Beispielcharakter für die Branche. Spekulativ aber überzeugt gehe ich davon aus, dass von der Duden-App bisher weniger als 500 Stück verkauft wurden und damit noch nicht einmal die Entwicklungskosten eingespielt sind.
Eine Zusammenfassung der Themenspecials zur Rechtschreibung und dem Duden im Deutschland Radio findet sich hier: