Sind die Piraten die neuen Grünen oder die neuen Liberalen? Andererseits, der Bundesvorsitzende der Piratenpartei Bernd Schlömer ist gleichzeitig Regierungsdirektor im Verteidigungsministerium und er kann sich eine Koalition mit der CDU vorstellen. Und die Partei ist auch noch von Rechtsradikalen unterwandert. Was ist das eigentlich für ein chaotischer Haufen in dieser Partei? Aber eins nach dem anderen.
Es gibt diese Klischees. Sie sagen wenig über eine Partei aus aber sind sie erst einmal da ist es schwierig sie wieder aus den Köpfen zu bekommen. Die Grünen sind eine Ökopartei, die FDP eine wirtschaftshörige Klientelpartei. Man möchte sagen, die Piraten sind eine Internetpartei, denen es darum geht das Urheberrecht abzuschaffen. Also eine weitere Klientelpartei? Dem würde der Bundesvorsitzende Schlömer widersprechen. Er sagte der Leipziger Volkszeitung: “Die Piraten sind, was unsere Wähler angeht, eine Volkspartei. Wir werden von allen Alters- und Berufsgruppen gewählt. Ja, wir wollen eine digitale Volkspartei sein.” Man muss wissen, das gehört zum Leitprinzip der Piraten: Maximalforderungen aufstellen und schauen was bei rum kommt. Wer noch keine Volkspartei ist, kann sich das leisten. Die Piraten haben nichts zu verlieren.
Die Partei wird von den Medien oft mit den Grünen der 80er Jahre verglichen. Der Vergleich hinkt allerdings. Natürlich überraschten beide Parteien mit ihren Wahlerfolgen, die Mitglieder ähneln sich auf den ersten Blick rein äußerlich und die politische Klasse ist mit dem Neuling überfordert; aber inhaltlich und strategisch unterscheiden sich die Parteien. Die Grünen brachten Turnschuhe und die Umwelt ins Parlament. Die Piraten brachten Club Mate und die virtuelle Welt und insbesondere Twitter als unverzichtbares Kommunikationsmedium in die Politik. Die Grünen wollten die Umwelt vor dem Fortschritt retten. Die Piraten wollen die Politik auf den aktuellen Stand der Gesellschaft bringen und sehen in der digitalen Revolution primär eine Chance, die genutzt werden sollte.
Die Piraten wollen gar nicht die neuen Grünen sein. In ihrem PiratenWiki wird sogar davon abgeraten sie zu wählen. Unter anderem stört sich die Partei an der von den Grünen angewandten Methodik “Menschen vor „Schädlichem“ schützen zu wollen, anstatt diese selbst darüber entscheiden zu lassen”. Das Phänomen Piraten ähnelt zwar den Grünen, inhaltlich stehen sie aber der FDP näher. Die Piraten sind in ihrem Kern ebenfalls eine liberale Partei. Sie betrachten die Freiheit des Individuums als besonders schützenswert vor der Gewalt des Staates. Beide lehnen Netzsperren und außerdem die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich ab. Die Wirtschaftsliberalen werden aber als “sinnlos” herabgewürdigt und man möchte denen das mit den Bürgerrechten gerne noch einmal genauer erklären.
Die Piraten sind frech und teilweise radikal und die etablierten Parteien reagieren hilflos auf den neuen Gegner. Schnell haben sie “das mit dem Internet” weiter oben auf ihrer Agenda gelistet und man twittert jetzt. Im Zweifel will man aber abwarten bis die neuen Politstars mit der Realpolitik konfrontiert werden. Den Gegner am politischen Alltag zermürben lassen. Ob das funktioniert? Die Piraten machen derweil unbeeindruckt weiter und verpassten ihrem Abstimmungstool Liquid Feedback ein Update.
Liquid Feedback 2.0.5. ist eine Software, die die Meinungen der Nutzer speichert und zur Abstimmung freigibt. So entsteht bei den Piraten das Parteiprogramm, so wird diskutiert und gestritten. Die Parteivorsitzenden haben sich an die Ergebnisse der Abstimmungen zu halten, wenn sie die Partei öffentlich repräsentieren. Liquid Feedback ist aber nicht für Parteitagsbeschlüsse bindend. Am Ende sollen Menschen die Entscheidungsgewalt behalten und keine programmierte Software.
Die Piraten nutzen Liquid Feedback, weil es die einfachste Art und Weise ist viele Meinungen auszutauschen und schließlich einen Kompromiss zu finden. Das Internet bietet diese Möglichkeit in nie dagewesener Dimension. Es wäre so theoretisch möglich alle Bürger an Entscheidungsprozessen partizipieren zu lassen. In diesem Punkt ist sich die politische Klasse ausnahmsweise einmal einig: das ist vorbildliche Basisdemokratie.
Was wollen die Piraten beim Urheberrecht?
Die Piratenpartei möchte das Urheberrecht nicht abschaffen, sondern reformieren. Kritisiert werden die aktuellen Vertriebsmodelle, die nicht mehr zeitgemäß seien und an die technischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts angepasst werden müssten. Eine dieser technischen Möglichkeiten gestattet es theoretisch über das Internet jede Art von Daten für jeden Menschen verfügbar zu machen. Die Piraten sehen hier ein marxistisches Ideal in greifbarer Nähe. In der Praxis ist das Internet noch nicht global flächendeckend verbreitet und der Kopierschutz soll die unkontrollierte Verbreitung von Dateien verhindern. Nach gültiger Rechtsprechung darf ein erworbenes Werk zwar in begrenzter Stückzahl privat kopiert werden. Für die weitere gewerbliche Nutzung oder die Zugänglichmachung für die Öffentlichkeit bedarf es aber einer speziellen Erlaubnis des Lizenzgebers. Erfolgt eine Kopie (bzw. eine Verwendung) ohne Lizenz handelt es sich um einen Verstoß gegen das Urheberrecht und der Rechteverwerter kann Ansprüche geltend machen, aufgrund des entstandenen Schadens der sogenannten Raubkopie. Damit sind die Piraten nicht einverstanden. Sie betrachten das Kopieren einer Datei ohne finanziellen Ausgleich für den Urheber zwar als moralisch verwerflich aber als rechtlich einwandfrei, weil kein Diebstahl des Originales vorliege. Die Idee des “geistigen Eigentums” wird von den Piraten negiert. Hingegen wird das Leistungsschutzrecht des Urhebers hervorgehoben und von den Rechteverwertern gefordert mit neuen Vergütungsmodellen faire Bedingungen für alle zu schaffen. Die Piraten sehen also vor allem die Verwerter in der Pflicht einen fairen finanziellen Ausgleich zu schaffen. Dafür wollen die Piraten den gesetzlichen Rahmen schaffen. Dass der Wortführer der Piraten beim Urheberrecht Bruno Kramm keine Antworten liefert wie die sogenannte Kulturflatrate zu finanzieren ist, kann man ihm ohne Frage vorwerfen.
Dass man den Piraten auch vorwirft, sie würden keine konkreten Geschäftsmodelle aufzeigen und damit die Künstler und Verwerter in Wahrheit enteignen wollen, ist allerdings ein Denkfehler. Es ist nicht Aufgabe von Parteien Geschäftsmodelle zu entwickeln, sondern Aufgabe der Wirtschaft. Viele Medienmacher reagieren hysterisch auf die Forderungen der Piraten und engagieren sich sogar politisch. Tausende Künstler, Autoren und Verwerter vereinigten sich und kämpfen gemeinsam für die Wahrung des Urheberrechts.
Die Piraten haben es also geschafft das Thema Urheberrecht in die Schlagzeilen zu bringen. Aber sie sind noch nicht in der Debattenkultur der Offlinewelt angekommen. Es genügt nicht eine Debatte nach der anderen anzustoßen und nur Verwirrung und Existenzängste zu schüren. Mittlerweile haben die Piraten immerhin selbst erkannt, dass mit Shitstorms keine Debatten zu führen sind.
Den Nutzern von Werken schließlich ist das Urheberrecht relativ egal. Und die Piraten sind ihnen auch egal. Was sie wollen, das sind Bücher, Musik, Filme und mehr. Koste es, was es wolle – selbst wenn es nichts kostet!
Wenn man die Piraten mit den Grünen vergleichen möchte, dann sollte man auch an Fukushima denken. Es war nicht der Super-GAU in Japan, der die CDU bei der Atomkraft einknicken ließ. Es war die grüne Meinung, dass die Atomkraft abgeschafft gehört, die längst Konsens war in Deutschland. So gesehen könnten in Zukunft die Piraten das Fukushima beim Urheberrecht sein und das freie Kopieren per Gesetz beschlossen werden, wenn die Wirtschaft nicht vorher das bessere Angebot schafft.
Olaf Behnke