“ Wir in der Lerchenstraße” Einblick in den Roman “Herumtreiberinnen” von Bettina Wilpert

eine Rezension von Charlotte Kuschka

“Wir sind nicht schwatzhaft. Wir sind flott und tollkühn und darauf sind wir stolz.” (Wilpert 2022). So lautet nur eine der vielen Beschreibungen über die Frauen in der Lerchenstraße. Die Geschichten drei dieser Frauen erzählt Autorin Bettina Wilpert in ihrem Roman „Herumtreiberinnen“. Wie auch ihr Erstlingswerk „Nichts was uns passiert“, erscheint der Roman im Verbrecher Verlag. Auch der Handlungsort ist gleich geblieben, so streifen die Protagonistinnen durch die Straßen Leipzigs. Eine dieser Straßen verbindet die drei Frauen, Manja, Lilo und Robin, besonders. So findet sich jede von ihnen in der Lerchenstraße ein, jedoch jede zu einer anderen Zeit und aus unterschiedlichen Gründen. Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass sich jede mit den politischen Zwängen und den Erwartungen ihrer Zeit konfrontiert sieht. Die Lerchenstraße ist dabei mal Haftanstalt, mal Venerologische Station und mal Unterkunft für Geflüchtete.  

Die Geschichten der Frauen werden in einem wilden Wechsel erzählt. Die Sprünge zwischen den Geschichten und Zeiten erzeugen dabei eine Verbundenheit zwischen den Frauen und wecken ein starkes Solidaritätsgefühl. Dies wird auch durch die sich immer wiederholende Phrase: „Wir, in der Lerchenstraße“ erzeugt, an die sich Wünsche, Beschreibungen und Gefühle der Frauen anschließen. Sodass man vergisst welche Zeit eigentlich gemeint ist. Der sehr dynamische Wechsel macht den Roman außerdem unglaublich spannend, sodass man kaum das Buch aus der Hand legen kann. 

Am stärksten wirkt die Geschichte von Manja, welche durch einen ungünstigen Zufall in der Lerchenstraße landet und dort in der Venerologischen Station, der „Tripperburg“, festgehalten wird.  In der DDR wurden dorthin, unter dem Vorwand Geschlechtskrankheiten zu behandeln, Frauen gebracht, welche den gesellschaftlichen und politischen Standards nicht entsprachen. Die Willkür der politischen Handlung und den Eingriff in weibliche Sexualität spürt man in dieser Geschichte besonders deutlich. Es scheint außerdem die eigentliche Hauptgeschichte zu sein, welche auch den Großteil des Buches einnimmt. Die anderen Geschichten wirken, als sollten sie die Wut über den Machtmissbrauch und die Ungerechtigkeiten noch verstärken. Dieser Effekt wird erzielt, denn die Wut bleibt auch am Ende des Buches erhalten. Doch fehlt eine gewisse Tiefe der Charaktere Robin und Lilo, über die man gern mehr erfahren hätte.

So ist etwa Robin die Einzige der drei, welche die Lerchenstraße aus freien Stücken betritt. Im Jahr 2016 arbeitet sie dort als Sozialarbeiterin. Die einstige Haftanstalt und Venerologische Station ist nun eine Unterkunft für Geflüchtete. Dort setzt sie sich für die Belange geflüchteter Menschen ein und sieht sich mit bürokratischer Willkür konfrontiert. 

Lilo, die eigentlich Lieselotte heißt, betritt die Lerchenstraße als erste von den dreien, jedoch nicht etwa freiwillig, sondern als „Politische“ des kommunistischen Widerstandes. Trotz der Aufgaben im Widerstand, muss sie immer wieder damit kämpfen, ernst genommen zu werden und wird schließlich gemeinsam mit ihrer Familie inhaftiert.  

Mit Hilfe von historischen Dokumenten sowie der Expertise verschiedener Expert:innen, bildet Wilpert die Lebensrealitäten dreier Frauen nach, welche den patriarchalen Zwängen ihrer jeweiligen Zeit trotzen oder zumindest dagegen ankämpfen. Wilpert schafft dadurch einen historisch-politischen Roman, welcher seine Leser:innen aufgewühlt und wütend zurücklässt. Der Roman ist damit eine klare Buchempfehlung für alle, die politischen Diskurs auch in belletristischer Literatur nicht scheuen. 

 

Lektorin: Lisa Schweizer

Foto: Nane Diehl

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