Nachdem dieser Börsenblatt-Beitrag zum Thema unbezahlte Praktika als Branchenstandard mit über 100 Reaktionen eine erstaunliche Resonanz erzielte, und damit als Gradmesser für die Bedeutung der Debatte dienen kann, erschien bei Börsenblatt.net heute ein Folgeartikel der Buchwissenschaftlerin Ursula Rautenberg.
Die Schuldfrage heißt er und beschäftigt sich mit der Möglichkeit einer Einführung von Mindeststandards für den Umgang mit Berufseinsteigern.
Einige der wesentlichen Punkte möchte ich gern hier aufführen und kurz kommentieren :
„Mehr als dreimonatige Praktikumsangebote ohne Honorierung sind unseriös. Ebenso die Beschäftigung von erfolgreichen Absolventen eines einschlägigen Studiengangs als Praktikanten, die bereits mehrere Praktika studienbegleitend absolviert haben.“
Völlige Zustimmung.
„Wertschätzung drückt sich auch in interessanten Aufgaben aus. Lediglich einseitige und monotone Aufgaben sind nicht Sinn eines Praktikums.“
Interessante Aufgaben, die den Zögling zwar fordern, nicht aber vom ersten Tage an als einen vollständig ausgebildeten, integrierten Verlagsmitarbeiter behandeln. Bei einer hier geforderten Mindestvergütung von 300 Euro ist es gleichermaßen unverantwortlich, die Arbeitsleistung und Verantwortungsübernahme eines anständig bezahlten Mitarbeiters zu erwarten.
„Stellenangebote sollten Hinweise auf die Konditionen enthalten, Transparenz für alle macht »schwarze Schafe« sichtbar, aber auch die fairen Arbeitgeber.“
Ein Absolvent der Buchwissenschaften verfügt laut Autorenteam der Marginalglosse [Beitrag 1] „ergo über analytisches Denken, kritische Reflexionsfähigkeit, konzeptionelle Herangehensweisen, gutes Allgemeinwissen, selbstständige Arbeitsweise, jede Menge Soft Skills.“ Wenn dem so ist, sollte es aber möglich sein, schon bei einem Telefonat vorab zu klären, ob und wie gezahlt wird oder welche anderen Vergünstigungen zu erwarten sind – wenn der zehnte Anrufer nach betretenem Schweigen auflegt, werden sich gewisse Standards ganz von selbst einstellen.
„Bevorzugte Einstellung von ausgebildeten Buchwissenschaftlern: Das Überangebot am Markt entsteht durch nicht einschlägig qualifizierte Quereinsteiger.“
Dass eine Buchwissenschaftlerin so argumentiert, ist klar – dass Sie alle anderen verlagsrelevanten Studiengänge dafür unter den Tisch fallen lässt, ist schade. In Zeiten, in denen Verlage mit so komplexen Theman wie medienneutraler Datenhaltung, Cross-Channel Publishing und Social Media Marketing in wachsender Relevanz konfrontiert sind, ist es nur natürlich, dass dem sich wandelnden Anforderungsprofil der Verlagsarbeit auch zunehmend die sogenannten Quereinsteiger gerechter werden. In vielen Fällen gerechter als Spezialisten, die zwar eine generalistischer werdende Ausbildung genießen, dennoch in die komplexen und einem rasanten Wandel unterzogenen Errungenschaften des Electronic Publishing nur hineinriechen können.
Persönliche Anmerkung
„Stellt Euch vor, es ist Krieg, und keiner geht hin.“
Mit diesem Satz hat unser Lehrer für politische Bildung uns gepiesackt, wann immer er der Meinung war, dass wir es uns zu einfach machen auf der Suche nach Schuldigen – und ich glaube, er hat Recht. Ich habe bei der Telefonischen bewerbung um einen Praktikumsplatz fürs Praxissemester in Hamburg klar gemacht, dass ich es mir nicht leisten kann, Miete etc. mit 300 Euro oder weniger zu vereinbaren. Wir einigten uns auf 800 Euro und ich konnte anständig arbeiten, weil nicht in finanzieller Bedrängnis verhaftet. Wenn kein Studierender mehr bereit ist, für Lau gute Dienste zu verrichten, dann hat es sich auch mit der prekarisierenden Mentalität der Praktukumsvergebenden. Ihr seid gefragt, ihr seid die Lobby und ihr müsst euch die Plattform schaffen. Artikel im Börsenblatt sind ein guter Start – und dann haltet es mit Konstantin Wecker: Sage Nein!
[gilt auch bei anderen Themen..]